Die Corona-Pandemie droht laut den Vereinten Nationen Millionen Mädchen und Jungen neu in die Kinderarbeit zu zwingen. Nach rund zwei Jahrzehnten Rückgang könne das weltweite Ausmaß der Beschäftigung von Minderjährigen wieder steigen, warnten UN-Organisationen anlässlich des Welttages gegen Kinderarbeit am Freitag in Genf. Die Bundesregierung will den Kampf gegen Kinderarbeit und sexuelle Ausbeutung von Kindern zu einem Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft machen, die am 1. Juli beginnt und sechs Monate dauert.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und das Kinderhilfswerk Unicef betonten, dass die Corona-Pandemie zu wachsender Armut und sinkenden Familieneinkommen führe. In angespannten wirtschaftlichen Lagen sei oft vermehrte Kinderarbeit zu verzeichnen. Kinder, die sich bereits verdingten, müssten länger arbeiten oder gefährlichere Tätigkeiten verrichten.
Weltweit müssten noch immer 152 Millionen Mädchen und Jungen im Alter von 5 bis 17 Jahren arbeiten. Die Regierungen sollten ihre Programme zum Schutz von Kindern vor Ausbeutung ausbauen, verlangten ILO und Unicef.
UN-Ziel: Ende der Kinderarbeit bis 2025
Eigentlich wollten die Vereinten Nationen ein Ende der Kinderarbeit bis zum Jahr 2025 erreichen. Seit 2000 sei die Zahl der Kinderarbeiter um 94 Millionen gesunken, hieß es.
Als Meilenstein gilt die ILO-Konvention gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999. Danach sind körperlich und gesundheitlich gefährliche Arbeiten wie in Bergwerken für Minderjährige verboten. Zudem ist Prostitution für Kinder untersagt. Allerdings haben noch nicht alle ILO-Mitgliedsländer die Konvention ratifiziert, und ihre Umsetzung weist erhebliche Lücken auf.
Müller: Bilanz deutscher Firmen bei Kinderarbeit „sehr negativ“
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, Deutschland wolle in der zweiten Jahreshälfte in der EU-Ratspräsidentschaft die Grundlagen für ein europäisches Lieferkettengesetz schaffen. „Dazu gehören auch faire Löhne für die Eltern“, sagte er.
Einige deutsche Firmen nehmen seiner Einschätzung nach Kinderarbeit bei ausländischen Partnerunternehmen in Kauf. Im ZDF-Interview sagte Müller, erste Ergebnisse einer Unternehmensbefragung in Bezug auf die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten bei der Herstellung von in Deutschland verkauften Gütern seien „sehr, sehr negativ“. Längst nicht 100 Prozent der Firmen könnten in ihrer Produktionskette Kinderarbeit ausschließen.
Bestätigt sich dieser Trend, will Müller gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine Gesetzesinitiative für ein Lieferkettengesetz einbringen. Damit wären deutsche Firmen gegebenenfalls für Verstöße ihrer Zulieferer haftbar. Der Minister will damit nach eigenen Worten durchsetzen, dass dort, „wo unsere Kleidung, unsere Schuhe, unser Kaffee produziert wird, ein anständiger, fairer, existenzsichernder Lohn gezahlt wird“. Im Augenblick erhielten die in den Sektoren tätigen Frauen 15 Cent in der Stunde. „Wenn wir bereit wären 25 oder 30 Cent zu zahlen, dann könnten die Frauen ihre Kinder zur Schule schicken“, sagte Müller. „Und die Kinder müssten nicht mitarbeiten.“
DGB-Chef fordert Lieferkettengesetz
DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Das Verbot von Kinderarbeit ist ein Menschenrecht, das global einzuhalten ist.“ Auch Unternehmen, die von Deutschland aus operieren und in Deutschland Geschäfte machen, müssten sich daran halten. Dies müsse durch ein Lieferkettengesetz überprüft und bei Verstößen geahndet werden.
Birte Kötter, Vorstandssprecherin des Kinderhilfswerks terre des hommes, äußerte in der Zeitung ebenfalls die Befürchtung, dass infolge der Corona-Pandemie Kinderarbeit ansteigen wird, weil Millionen Familien keine Einkünfte haben und die Kinder mitarbeiten müssen.
Regierung prüft Maßnahmen
Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag eine „ambitionierte Umsetzung“ internationaler entwicklungspolitischer Zusagen versprochen. Grundlage ist der „Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP), der folgendes vorsieht: Wenn weniger als die Hälfte der großen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bis 2020 der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, wird „die Bundesregierung weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen prüfen“. Unter Federführung des Auswärtigen Amtes gab es daher Umfragen zur Selbsteinschätzung deutscher Unternehmen. Diese seien inzwischen abgeschlossen, sagte Müller. Mitte Juli soll das Ergebnis der Befragungen bekanntgegeben werden.
Minister Müller sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“, 150 Millionen Kinder müssten täglich auf Kaffeeplantagen oder in Steinbrüchen schuften, fast die Hälfte von ihnen unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen. Der Fortschritt für eine Welt ohne Kinderarbeit sei schon vor Corona schleppend gewesen. Durch die Pandemie drohten nun enorme Rückschritte. „Die Lage ist dramatisch“, sagte Müller. (epd/mig)