"Zynismus"

Scheuer verhindert Auslaufen von Rettungsschiffen im Mittelmeer zum Schutz von Personen

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat per Neuverordnung den Auslauf für Schiffe von Seenotrettern verhindert. Begründung: Personensicherheit. Seenotretter üben scharfe Kritik. Sie werfen dem Minister Zynismus vor. Ministerium weist die Vorwürfe zurück.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im März dieses Jahres per Verordnung das weitere Auslaufen von Rettungsschiffen im Mittelmeer erschwert bis verhindert. Konkret geht es um Änderungen in der Seesportboot- und Schiffsicherheitsverordnung. Danach mussten Sportboote und Kleinfahrzeuge, worunter auch Schiffe von Seenotrettern fallen, bisher kein Sicherheitszeugnis vorlegen, um auszulaufen.

Mit der am 7. März in Kraft getretenen Neuverordnung ist das anders. In einem Schreiben der Dienststelle Schiffsicherheit vom 6. April, das dem MiGAZIN vorliegt, gilt das neue Regelwerk ausdrücklich auch für „Kleinfahrzeuge und Sportbote, die von Vereinen und Privatpersonen zielgerichtet z.B. im Bereich des Umweltschutzes, der Seenotrettung inklusive Beobachtungsmissionen, oder anderer humanitärer Zwecke eingesetzt werden“. Sie sollen in Zukunft „risikogerecht nach dem auch für die Berufsschifffahrt geltenden Recht behandelt werden“ – hinsichtlich Bauweise, Ausrüstung und Besatzung.

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Mit der Neuverordnung reagiert Bundesverkehrsminister Scheuer offenbar auf ein von „Mare Liberum“ im vergangenen Jahr in zwei Instanzen gewonnene Gerichtsverfahren. Der Verein hatte sich erfolgreich gegen die Festsetzung seines Schiffes gewehrt. Mehrere Seenotrettungs-Organisationen werfen dem Bundesverkehrsministerium jetzt vor, sie mit strengen, „praktisch nicht erfüllbaren“ Anforderungen zu überziehen. Die Boote könnten nicht mehr auslaufen, auch drohten hohe Bußgelder. Die Verordnung fordere den Austausch bestimmter Materialien am Schiff oder die Erweiterung von Lukengrößen. Die Kosten für solche Umbauten könnten den Seenotrettern zufolge in die Zehntausende Euro gehen.

Vom deutschen Staat gehindert

Laut Hanno Bruchmann, Vorstandsmitglied von „Mare Liberum“, ist ihr Schiff nach der Aufhebung der Corona-Beschränkungen in Griechenland bereit zum Auslaufen, wird daran jedoch vom deutschen Staat gehindert. Ihnen würden „plötzlich Dutzende neue Vorschriften aufgebürdet“, die sonst nur in der gewerblichen Schifffahrt angewandt würden.

„Weil unsere ehrenamtliche Crew sich für Geflüchtete einsetzt, braucht sie nun andere Führerscheine als jemand, der mit demselben Boot Vögel beobachtet oder Wettrennen fährt“, fügte er hinzu. Ziel der neuen Verordnung sei schlicht, die Einsätze im Mittelmeer zu verhindern. „Anscheinend sieht Andreas Scheuer lieber Menschen im Mittelmeer ertrinken, als dass sie Europa lebend erreichen“, so Bruchmann. Er fordert die sofortige Zurücknahme der Verordnung.

Unter dem Radar der Öffentlichkeit

Scharfe Kritik erntet Minister Scheuer auch vom Vorstand von „Mission Lifeline“, Axel Steier: „Unter dem Radar der Öffentlichkeit ziehen die CSU-geführten Ministerien heimlich einen Knüppel nach dem anderen aus dem Sack, um uns ins Straucheln zu bringen. Das ist so perfide wie feige. Seenotrettung ist Verpflichtung. Wer sie behindert, hat sich von humanitären Werten verabschiedet. Versuche wie diesen gibt es, solange es uns gibt.“

Stefen Seyfert von „RESQSHIP“ ist überzeugt, dass die neugefassten Verordnungen rechtswidrig und unverhältnismäßig sind. Das Verkehrsministerium schaffe damit auch aus moralischer Sicht einen „neuen Tiefpunkt, indem es humanitäre Hilfe mit einem vorgeschobenen Argument zu verhindern“ versuche. „Dabei sind es gerade die zivilen Organisationen, die für mehr Sicherheit auf See sorgen und sich für die Einhaltung des See- und Völkerrechts zum Schutz von Menschenleben einsetzen“, so Seyfert.

Ministerium weist Vorwürfe zurück

Ein Sprecher des Verkehrsministeriums wies die Vorwürfe zurück und erklärte, ehrenamtliche Helfer seien bei ihren Einsätzen vergleichbaren Gefahren ausgesetzt wie Berufsseeleute. Die Änderung solle bewirken, dass die Schiffe der Helfer einen nach objektiven Kriterien entwickelten Sicherheitsstandard für die professionelle Seefahrt erfüllen. „Damit kommt Deutschland auch seinen internationalen Verpflichtungen als Flaggenstaat nach“, sagte der Sprecher dem „Evangelischen Pressedienst“. „Schiffen, die die hierfür erforderlichen Schiffszeugnisse vorweisen können, bleibt es unbenommen unter der Bundesflagge zu operieren.“

Die Seenotretter indes machen in einer gemeinsamen Erklärung darauf aufmerksam, dass seit Beginn der Rettungs- und Beobachtungsmissionen ziviler Schiffe im Juli 2015 „bei hunderten von Missionen, vielen tausenden Geretteten und hunderten von Einsatzkräften an Bord der Schiffe, nicht einen einzigen Unfall gegeben“ hat. Kein Crewmitglied sei an Leib oder Leben geschädigt worden. Den Einsatz von Rettungsschiffen mit überzogenen Sicherheitsanforderungen zu verhindern „ist zynisch gegenüber Flüchtenden, die sich in akuter Seenot befinden und auf Rettung hoffen“, so die Seentretter. Laut Internationaler Organisation für Migration sind in 2020 mindestens 268 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. (epd/mig)