Fromme Fashionista

„Modest fashion“ für gläubige Musliminnen und fromme Jüdinnen

Lange, schlichte Gewänder, kombiniert mit XXL-Sonnenbrille und auffälligem Schmuck: Mit stylisher „modest fashion“ verbinden strenggläubige Musliminnen und Jüdinnen Mode und Tradition. Doch der Stil polarisiert.

Ein knallbuntes Kleid, um den Hals ein extravaganter Fellkragen, dazu goldene Kreolen, die Haare mit einer Art Turban bedeckt. So zeigt sich die israelische Modebloggerin Yodfat auf Instagram. Mehrere tausend Nutzer folgen ihr. Unter dem Namen „yodfatstyle“ betreibt sie einen Modeblog. Die Jüdin liebt „modest fashion“. Übersetzt heißt das so viel wie „bescheidene Mode“ – ein Kleidunsgstil für Frauen, der in religiösen Traditionen wurzelt.

Die Kundinnen sind oft Musliminnen, aber auch Jüdinnen. Der Markt boomt weltweit, die Umsätze liegen jedes Jahr im mittleren zweistelligen Milliardenbereich. Kollektionen kommen von Designerlabels ebenso wie von kleineren Produzenten aus Indonesien und Malaysia, aber auch aus Deutschland. In Dubai und der Türkei präsentieren Modeschöpfer auf „modest fashion“-Weeks ihre Kreationen. Der islamische Fastenmonat Ramadan, der dieses Jahr am 24. April beginnt, ist Hochsaison für „modest fashion“, viele Label bringen dafür Sonderkollektionen heraus.

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Gläubigen Musliminnen, fromme Jüdinnen

Große Mainstreammarken wie H & M und Mango haben den Trend schon länger aufgespürt. Auch auf der Seite des Online-Shops asos finden Kundinnen die Rubrik „modest fashion“: Midi-Röcke, locker sitzende „Boyfriend“-Hemden sowie Kopftücher mit Leopardenprint.

Das sind Kleidungsstücke, die neben gläubigen Musliminnen auch vielen frommen Jüdinnen gefallen. Denn ebenso wie für jüdische Männer gilt für sie die „Zniut“, eine Regelsammlung für sittsames Leben, zu der auch die Kleidungsvorschriften gehören: Jüdisch-orthodoxe Frauen bedecken ihren Körper bis zu den drei Knochen – Knie, Ellbogen und Schlüsselbein. Nach der Heirat tragen sie ein Kopftuch oder eine Perücke, den „Scheitel“. Einige entscheiden sich auch für Basecaps, Basken- oder Strickmützen.

Weibliche Reize

Die modische Interpretation sei vielfältig, sagt Sara Soussan vom Jüdischen Museum Frankfurt. Orthodoxe Jüdinnen möchten ihre weiblichen Reize nicht der Öffentlichkeit zeigen, wie die Judaistin erklärt. Diese sollten dem Partner vorbehalten sein. Die Kuratorin für jüdische Gegenwartskultur hat sich intensiv mit jüdischer Mode beschäftigt. Auch sie trägt einen Turban, ansonsten herkömmliche Stiefel und einen längeren Rock.

Durch die sozialen Netzwerke verbreitete sich der „modest-fashion“-Trend rasend schnell, erklärt Soussan. Die Nachfrage nach der „dezenten“ Kleidung sei in den vergangenen Jahren größer geworden, der Einkauf durch Online-Anbieter außerdem einfacher. Inzwischen gibt es auch einige jüdische Designerinnen wie das Duo Mimu Maxi aus New York mit orthodoxer Mode und die Israelin Michal Siv, die Bademoden für fromme Jüdinnen entwirft.

Große Fangemeinschaft

Hinter vielen muslimischen und jüdischen Modebloggerinnen steht eine große Fangemeinschaft. Die Deutsch-Türkin Sümeyye Arslan war eine der ersten deutschen „Hidschabistas“. Das sind muslimische Modebloggerinnen, die ihren Stil in den sozialen Medien präsentieren – mit Hidschab, also Kopfbedeckung, trendig kombiniert. Bis heute postet die junge Frau aus Duisburg unter „hijab is my diamond“ Fotos und Videos, dafür erhält sie meist mehr als 10.000 Likes.

Die „modest fashion“-Bewegung ist umstritten – vor allem um das Kopftuch wird immer wieder heftig debattiert. Denn den selbstbewussten Musliminnen und Jüdinnen, die sich stylish kleiden und trotzdem die religiösen Kleidervorschriften beachten wollen, steht eine andere Gruppe gegenüber: Frauen, die dafür kämpfen, kein Kopftuch tragen zu müssen, alles anziehen zu können, was sie wollen – nicht nur „modest fashion“.

Aufschrei & Boykott

Als Dolce & Gabbana begann, muslimische Mode anzubieten, rief beispielsweise die französische Philosophin und Feministin Elisabeth Badinter zum Boykott der Marke auf. Sie warf ihr vor, an der Unterdrückung von Frauen durch den Schleier verdienen zu wollen.

Einen besonders lauten Aufschrei gab es bei der AusstellungContemporary Muslim Fashions“ im Frankfurter Museum Angewandte Kunst vergangenes Jahr. Frauenrechtlerinnen hatten die Schau im Vorfeld kritisiert. Der Hauptvorwurf: Das Museum verharmlose das Kopftuch. Die zuletzt in Kritik geratene Rechtsanwältin Seyran Ateş kritisierte, die Veranstalter verkauften sich an die Textilindustrie und die Islamisten, die am liebsten alle Frauen dieser Welt verhüllen würden.

Sachliche Debatte kaum möglich

Eine sachliche Auseinandersetzung mit religiösen Vorschriften für Frauen wie dem Kopftuch sei in Deutschland kaum möglich, beobachtet die Frankfurter Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp. Die Debatte sei emotional so aufgeladen, dass sie schon vor einer eigentlichen Diskussion zum Erliegen komme. „Alte Rassisten“ würden sich in solche Diskussionen „pseudo-feministisch“ einbringen, kritisiert die Theologin. Dahinter stecke oft Islamfeindlichkeit.

Das Problem an „modest fashion“ ist nach Schrupps Meinung nicht die Mode an sich, sondern der Begriff: Das Adjektiv „modest“, also „sittsam“, „bescheiden“ sei schwierig, um eine freiheitliche Mode zu beschreiben. Es impliziere eine moralische Aufforderung. Das Bild einer Frau als „zurückhaltend“ aber sei grundlegend patriarchal. (epd/mig)