"Die Befreier sind da"

Vor 75 Jahren wurde das Konzentrationslager Flossenbürg befreit

Tausende Gefangene des KZ Flossenbürg kamen bei der Arbeit im Steinbruch um oder wurden von SS-Wachsoldaten erschossen. Als die US-Armee am 23. April 1945 im Stammlager eintraf, bot sich ihr ein Bild des Grauens.

Zwei Tage nachdem die Waffen-SS einen Großteil der Gefangenen aus dem Konzentrationslager Flossenbürg evakuiert hatte, unterbrach der Häftling Emil Lezak, der in der ehemaligen Schreibstube seine Lebensgeschichte niederschrieb, seine Aufzeichnung: „Die Befreier sind da. Wir haben den 23. April 1945, 10.50 Uhr“, notierte er.

Als die 90. Infanterie-Division der 3. US-Armee das KZ Flossenbürg erreichte, konnten die Soldaten das Stammlager kampflos einnehmen, da keine SS mehr vor Ort war. Das Stammlager war zu diesem Zeitpunkt so gut wie geräumt. „Von einer Befreiung im eigentlichen Sinn kann man hier nicht reden“, sagt der Historiker Julius Scharnetzky von der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.

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Kurz zuvor, Anfang April 1945, waren in Flossenbürg und den annähernd 80 Außenlagern noch 40.000 Gefangene inhaftiert. Das KZ Flossenbürg war für den Steinbruch berüchtigt, in dem Tausende Häftlinge schuften mussten. Ohne Sicherheitsvorkehrungen, schlecht bekleidet und bei jedem Wetter mussten sie Erde abtragen, Granitblöcke sprengen, Loren schieben und Steine schleppen. Unfälle waren an der Tagesordnung. Kälte, harte Arbeit, völlig unzureichende Ernährung und die willkürliche Gewalt von SS-Männern und Kapos führten zum Tod vieler Häftlinge.

Der Versuch, den Massenmord zu vertuschen

Mitte April begann die SS im Stammlager Dokumente, Folterwerkzeuge und Blutspuren zu beseitigen. Die Gefangenen sollten nach Dachau getrieben werden. Anlass war ein Telegramm des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, an die Kommandantur des Konzentrationslagers Flossenbürg mit dem Inhalt, dass das Lager nicht übergeben werden dürfe. Die Häftlinge dürften auf keinen Fall in die Hände der Alliierten fallen, lautete der Befehl.

Wie in anderen Konzentrationslagern auch wollte die SS vermeiden, dass die Alliierten kompromittierende Indizien für den Massenmord finden. Ab dem 16. April räumten die SS-Schergen deshalb das Stammlager mit seinen 15.000 bis 20.000 Häftlingen und schickten sie auf die berüchtigten Todesmärsche. Das Ziel der schwer bewachten Kolonnen sollte das 200 Kilometer entfernte Dachau sein. Nur 2.800 erreichten es, ein Großteil wurde bereits auf dem Weg dorthin von US-Truppen befreit. Etwa 5.000 kamen unterwegs vor Schwäche um oder wurden von den SS-Wachmannschaften ermordet. Mehrere hundert der Häftlinge starben noch unmittelbar nach der Befreiung an den Folgen der grausamen Todesmärsche.

Für viele kam die Rettung zu spät

Im Stammlager fanden die US-Soldaten am 23. April 1945 nur noch 1.500 zurückgelassene Häftlinge vor. Die meist Schwerkranken kämpften ums Überleben, für viele jedoch kam die Rettung zu spät.

Am 24. April leitete der Oberstleutnant der Infanterie, W. I. Rüssel, von der 90. Division der 3. US Army seinen Bericht weiter: „Die gesundheitliche Verfassung der Gefangenen ist schlecht. Sie leiden alle an Unterernährung. Es gibt 186 Typhusfälle, 98 Fälle von Tuberkulose, die Bettruhe einhalten müssen, zwei Fälle von Diphtherie, zwei Fälle von Scharlach und verschiedene andere ansteckende Krankheiten. Das ganze Lager befindet sich in erbärmlichem Zustand.“ Die Amerikaner mussten das Krematorium betreiben, um sich der unzähligen Toten zu entledigen. Das löste unter den Überlebenden enormen Protest aus. Daraufhin wurde ein Friedhof eingerichtet.

Versteckt unter der KZ-Waschküche

Unter den 1.500 Menschen im Lazarett war auch der 15-jährige Jakub Szabmacher, ein polnischer Jude aus Belzyce. Wie betäubt hatte er im Mai 1943 zusehen müssen, wie der SS-Mann Reinhold Feix seine Mutter und Schwester im Lager Budzyn erschoss. Eine einsame Odyssee durch mehrere Konzentrationslager folgte, bis er im August 1944 nach Flossenbürg kam. Er wurde zunächst im Steinbruch, später in der Flugzeugproduktion und während der letzten drei Monate vor der Befreiung in der Häftlingswäscherei eingesetzt.

Zwei Tage lang versteckte ihn Mitte April 1945 ein älterer Mitgefangener auf den Heizungsrohren unter der Waschküche des KZs. Er befürchtete, Jakub würde den Todesmarsch nach Dachau nicht überstehen.

Ein zweites Mal gerettet

Wie durch ein Wunder wurde Jakub ein zweites Mal gerettet: Als ein paar SS-Männer vorübergehend zurückkehrten, versteckte ihn ein anderer Gefangener unter den Kranken und Versehrten im Lazarett. So konnte er überleben.

Als die Amerikaner dann das KZ befreiten, ging Jakub ihnen mit ausgestreckten Händen entgegen. In ihnen hielt er ein Gewehr aus der Waffenkammer der SS. Voller Erstaunen beobachtete er, wie ein rothaariger Soldat der 90. Infanterie-Division das Gewehr nahm und zerbrach, schreibt der Holocaust-Überlebende in seinen Erinnerungen „Jakubs Welt“. Er war der jüngste Überlebende im Stammlager. Jakub wurde von einem US-Offizier adoptiert und nannte sich später Jack Terry. Er wurde Psychotherapeut und lebt heute in New York City. (epd/mig)