Heute vor 100 Jahren

Von der völkischen Bierrunde zur Massenpartei NSDAP

1932 wurde die NSDAP stärkste Kraft im Reichstag – und hob umgehend das demokratische System aus den Angeln. Nur zwölf Jahre waren vergangen, seit Adolf Hitler 1920 aus dem antisemitischen Zirkel DAP die spätere Staatspartei NSDAP formte.

Im Münchner Bürgerbräukeller fallen Ende Januar 1925 markige Worte. „Ich habe mich neun Monate lang jedes Wortes enthalten; nun führe ich die Bewegung, und Bedingungen stellt mir niemand.“ Adolf Hitler pocht nach seiner Haftzeit auf seinen Führungsanspruch. Fünf Jahre zuvor hatte er das schon einmal getan, als er die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) quasi im Handstreich übernahm. 100 Jahre ist es her, seit Adolf Hitler diese völkische Bierrunde auf sich ausrichtete und aus ihr die Staatspartei NSDAP formte.

Denn die NSDAP war keine Neugründung, sie wurde „wiederaufgerichtet“, wie es in zeitgenössischen Schriften hieß. Der damals noch völlig unbekannte Gefreite Adolf Hitler habe die Chance genutzt, sich bei der DAP rasch in den Vordergrund zu spielen und die Partei nach seinen Vorstellungen zu formen, urteilt der Historiker Volker Ullrich. Hitler seit weit mehr gewesen „als nur ein erstklassiger Demagoge; er war auch ein überaus begabter Schauspieler. In der Kunst, unter verschiedenen Masken aufzutreten und in wechselnde Rollen zu schlüpfen, brachte er es zu einer gewissen Meisterschaft“.

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Völkisch-nationalistische DAP

Der Werkzeugschlosser Anton Drexler (1884-1942) hatte am 5. Januar 1919 in München gemeinsam mit dem Sportjournalisten Karl Harrer einen „Politischen Arbeiterzirkel“ gegründet, aus dem später die völkisch-nationalistische DAP wurde. Einmal wöchentlich trafen sich ihre kaum mehr als 30 Mitglieder – fast alles Kollegen von Drexler aus der „Kgl. Bay. Staatsbahn-Centralwerkstätte“ – in der Kneipe Sterneckerbräu, die heute an der Straße Im Tal 38 nahe dem Isartor liegt.

Hitler besuchte mit Kameraden des Aufklärungskommandos der Reichswehr eine öffentliche Diskussionsrunde der DAP. Offenbar fand er Gefallen an dem, was er bei der Versammlung von nur 41 Personen hörte. Es ging gegen die „Novemberverbrecher“, gegen „jüdischen Bolschewismus“ und natürlich gegen den Marxismus. Hitler sprach auch selbst, zog wütend über den liberalen Rechtsstaat her. Drexler habe ihm „mit heller Begeisterung“ gelauscht: Es sei eine „zwar kurze, aber schneidige Rede im Sinne eines Großdeutschland“ gewesen.

Volksgemeinschaft ohne Juden

Kurz darauf trat Hitler in die DAP ein und nahm den Aufbau des Parteiapparates in die Hand. 1920 quittierte er den Dienst bei der Reichswehr, wurde rasch das Gesicht der Partei. Mehr als 80 Mal trat er zwischen Januar 1921 und Januar 1922 auf. Die „Münchner Post“ schrieb, er sei „wohl der gerissenste Hetzer“, der derzeit in München sein Unwesen treibe. Der Historiker Ian Kershaw nennt ihn „einen unwiderstehlichen Lockvogel“ der nationalen Rechten.

Im Winter 1919/1920 arbeiteten Drexler und Hitler ein neues Parteiprogramm aus, das 25 Punkte auflistete. Es enthielt „keine originellen Gedanken, sondern stellte einen Querschnitt dar durch das damals in völkisch-antisemitischen Kreisen kursierende Ideengemenge“, schreibt Ullrich. Einer der herausgehobenen Punkte war die Herstellung einer „Volksgemeinschaft“ ohne Juden: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“

Umbenennung in NSDAP

Am 24. Februar 1920, vor 100 Jahren, sprach Hitler im Festsaal im ersten Stock des Münchner Hofbräuhauses vor 2.000 Zuhörern und stellte das Parteiprogramm vor. Auf dieser Versammlung wurde die DAP in „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP) umbenannt – eine spätere offizielle Neugründung gab es nicht. „Mit dieser Veranstaltung begann die Entwicklung der von Drexler ins Leben gerufenen, bescheidenen völkischen Bierrunde zur Massenpartei Adolf Hitlers“, urteilt der Historiker Joachim Fest.

Der Einfluss der NSDAP blieb anfangs bescheiden. Bei den Reichtagswahlen 1928 kam sie nur auf 2,6 Prozent. 1930, im Zeichen der Weltwirtschaftskrise, waren es dann 18,3 Prozent der Stimmen. Im Juli 1932 war sie mit 37,4 Prozent stärkste Partei und blieb das trotz empfindlicher Verluste (minus 4,3 Prozent) auch nach den erneuten Wahlen im November 1932. Nahezu unbehelligt konnte sie die Weimarer Republik aus ihren Angeln heben. 1945 war jeder fünfte erwachsene Deutsche Parteimitglied.

Warnung vor dem Diktator

Hitler und Drexler zogen jedoch nicht lange an einem Strang. Hitler war nicht einverstanden „mit der Vereinsmeierei allerärgster Art und Weise“, dachte programmatisch, was auch an der Umbenennung der Partei in „nationalsozialistisch“ abzulesen ist. Eine scheinbar widersprüchliche Doppelstrategie, schreibt der Historiker Henrik Eberle: „Mit ’sozialistisch‘ signalisierte er die Ankoppelung an den linken Zeitgeist, mit ’national‘ distanzierte er sich im gleichen Atemzug von Sozialdemokratie und Marxismus.“

Parteigründer Drexler widerstrebte das. Hitler drohte mit Parteiaustritt und erhielt „umfassende Machtbefugnisse“ vom Geschäftsführenden Vorstand. Drexler war ausgebootet und sann auf Rache: Er erschien am 25. Juli 1920 bei der Münchner Polizei – und warnte vor einem kommenden Diktator Hitler. (epd/mig)