Kopf hoch, Knie anziehen

Schwimmgruppe für Migrantinnen erhält Integrationspreis

Sonntags gehen in Hersbruck Flüchtlingsfrauen gemeinsam ins Hallenbad. Sie lernen schwimmen und mehr Selbstbewusstsein. „Wasser macht den Körper und die Seele leicht“, sagt die Gruppenleiterin Marianne Ermann.

Sie hat sich einen schwarz-weiß gemusterten Badeanzug geliehen und läuft nun lachend durch die Umkleidekabine des Schwimmbads, spielt ein Model auf dem Laufsteg. Dalal, die 30-jährige Frau aus dem Irak, ist zum ersten Mal mit einer Gruppe Migrantinnen aus der Region um Nürnberg im Hallenbad in Hersbruck. Ihren staunenden Söhnen, 10 und 18 Jahre alt, hat sie erzählt: „Eure Mama lernt jetzt schwimmen.“

Die Gelegenheit dazu gibt ihr Marianne Ermann: eine Frau, die in den vergangenen Jahrzehnten schon viele Ideen hatte, wie sie Flüchtlingsfamilien helfen kann, ihre neue Heimat besser kennenzulernen und sich einzugewöhnen. Für ihre Gruppe „Therapeutisches Schwimmen für geflüchtete Frauen“ hat sie einen der drei Integrationspreise des Bezirks Mittelfranken erhalten. „Wasser macht den Körper und die Seele leicht“, sagt Ermann, Sozialpädagogin im Ruhestand. Die Teilnehmerinnen sollen Körpergefühl, Zutrauen zu sich und zum Wasser bekommen.

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„Ich habe schon in Syrien immer das Meer geliebt“, sagt Batoul, Mutter von fünf kleinen Mädchen. Sie hat in der Frauengruppe des Ökumenischen Vereins für Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten bereits das Schwimmen gelernt. Weil sie Nesril, einer anderen jungen Frau aus Syrien, im Schwimmbad die Kinder anvertrauen kann, kann sie allein eine Bahn schwimmen und sich auf Arm- und Beinbewegungen konzentrieren.

Badeanzug, Bikini, Burkini

Die Schwimmbewegungen sind gar nicht so schwer, wenn Marianne Ermann einer Frau die Hand hält. „Was aber oft Panik auslöst, ist nicht zu wissen, wie man aus der Schwimmlage wieder mit den Füßen auf den Boden des Beckens kommt“, sagt Ermann. „Kopf hoch, Knie anziehen“, das müsse eine Frau verinnerlichen, dann gehe der Rest von selbst.

Nesril, Batoul, Dasin, Gülenc, Jude, Hanan und Dalin sind alle geflohen, aus Syrien, der Türkei, Äthiopien oder aus Pakistan – aber jede der Frauen ist anderes. Zwei von ihnen steigen immer mit dem Burkini ins Becken – die Arme, die Beine und der Kopf sind so von Stoff bedeckt. Andere tragen einen Badeanzug, wieder eine andere einen gewagten Bikini, der aus nur wenig Stoff besteht. „Das ist das schönste Bild vor meinen Augen“, sagt Marianne Ermann, dass die Frauen so verschieden seien und sich ohne Vorbehalte untereinander akzeptierten.

Erinnerung an die Flucht

Sie quietschen, halten sich an den Händen und hüpfen ins Wasser, kichern und machen Quatsch. Es kann aber auch sein, dass mitten in der lichtdurchfluteten Fackelmann-Therme einer Frau die Erinnerung an die Flucht über die Wellen des Meers in den Kopf schießt. „Wir stellen uns dann eng zusammen und machen Atemübungen“, erklärt Ermann, die Hanan als Übersetzerin an ihrer Seite hat. Auch ihr vertrauen die Frauen, wenn sie die Angst überfällt.

Die Frauengruppe macht sich meist am Sonntagvormittag ins Schwimmbad auf. Ermann ruft eine von ihnen an, sagt, dass sie Zeit hat, und per Telefonkette verabreden sich die Teilnehmerinnen. Den Eintritt finanziert die Gruppenleiterin aus Spenden.

„Dann sagst du Berlin“

Nach dem Drehkreuz zum Bad erklärt sie den Frauen, die neu sind, wie Aufbewahrungsschrank, Schlüssel-Armband und der Eintritts-Chip zu benutzen sind. Es fällt auch eingeborenen Hersbruckern nicht immer leicht, in das Außenschwimmbecken zu finden. Wer sich hier nicht auskennt, hat gerade bei schlechten Deutschkenntnissen Angst, in unangenehme Situationen zu kommen. Wo sind die Toiletten, und wie sage ich dem Bademeister, dass ich den Chip nicht mehr finde? Was tun, wenn mich einer anquatscht und fragt woher ich komme? „Dann sagst du Berlin“, schlägt Marianne Ermann pragmatisch vor.

Einmal, als die resolute kleine Frau mit dem grauen Kurzhaarschnitt dachte, jetzt müsse sie ihre Frauen schützen, hat ein junger Mann am Beckenrand die Migrantinnen intensiv beobachtet. Ermann sprach ihn an, und er sagte, „dass er der Sohn von einer Frau aus unserer Gruppe ist“, erzählt Ermann lächelnd. Er habe nur wissen wollen, ob das stimmt, was die Mutter erzählt hat, „nämlich, dass sie jetzt schwimmen kann“.