Frau Havliza, warum brauchen wir aus Ihrer Sicht ein solches Gesetz?
Barbara Havliza: Weil wir in einer immer multikulturelleren und multireligiöseren Gesellschaft leben. Und weil im Grundgesetz verankert ist, dass die Justiz neutral zu sein hat. Das soll sich auch im Erscheinungsbild von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten niederschlagen.
Was genau hat Sie veranlasst, jetzt die Initiative dafür zu ergreifen?
Barbara Havliza: Das Problem ergibt sich zum Beispiel, wenn junge Muslima zu uns in die Justiz kommen, die ein Kopftuch tragen und es auch für öffentliche Handlungen im Gericht nicht ablegen wollen. Das ist dann der Punkt, an dem wir sagen: Nein, aus der Sicht des Dritten, der vor Gericht Recht sucht, geht das nicht. Man muss es immer aus der Sicht dessen betrachten, der die Sorge hat, dass ihm jemand mit einer religiösen oder weltanschaulichen Vorprägung gegenübersteht. Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass die Justiz ihnen vollkommen neutral gegenübertritt. Und sie können auch erwarten, dass das optisch zum Ausdruck kommt.
Urteilen denn Richter und Staatsanwälte weniger neutral, wenn sie religiöse Symbole tragen?
Barbara Havliza: Religion muss nicht unvereinbar sein mit Neutralität. Ich bin Christin und war als Richterin trotzdem neutral. Und so kann auch eine Muslima neutral sein, das ist selbstverständlich. Aber man hat diese Frage eben immer aus dem Blickwinkel des Dritten zu beurteilen, nur auf den kommt es an.
Gab es in Niedersachsen konkrete Fälle, in denen angehende Juristinnen mit Kopftuch auftreten wollten?
Barbara Havliza: Ja, das ist bislang in persönlichen Gesprächen in den Gerichten geregelt worden. Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort konnten den Rechtsreferendarinnen klarmachen, warum die Justiz Wert auf das Abnehmen des Kopftuches legt. Wenn es abgelegt wurde, sprach nichts gegen die Wahrnehmung der Sitzungsvertretung, zum Beispiel als Staatsanwältin. Manchmal stand am Ende auch das Ergebnis, dass die Referendarin auf die Sitzungsvertretung als Ausbildungsmaßnahme verzichtet hat. Auch das ist ein Weg, wenn auch nicht der gewünschte Weg.
Wir können diese Frage jedenfalls nicht mit völlig unterschiedlichen Vorgehensweisen oder Konsequenzen von Gericht zu Gericht oder von Stadt zu Stadt anders handhaben. Das kann man dann auch einer Muslima nicht mehr klarmachen. Deswegen wollen wir es nun einheitlich regeln.
Werden so jungen muslimischen Frauen nicht Chancen im Justizdienst verbaut?
Barbara Havliza: Es betrifft ja nicht nur Muslima. Wenn jemand sagt, ich lege meine Kippa nicht ab, würde es Männer genauso treffen. Im Übrigen ist die Annahme, allen Muslima wäre der Gang in die Justiz verbaut, doch recht pauschal. Es gibt Muslima, die ohne Probleme sagen: Wir legen das Kopftuch nur in bestimmten Situationen an, oder in manchen legen wir es ab. Oder es gibt Muslima, die erst gar kein Kopftuch tragen. Von daher geht es für junge Frauen schlicht um die Entscheidung: Möchte ich den Beruf als Richterin oder Staatsanwältin ausüben? Dann muss ich bestimmte Voraussetzungen erfüllen.
Was ist mit kleinen Schmuckstücken wie Kreuz, Davidsstern oder Halbmond? Dürfen die getragen werden?
Barbara Havliza: Ich habe während meiner Zeit als Richterin ein Kreuz als Schmuckstück getragen und habe es dann dezent unter meiner Bluse verborgen. Das muss auch weiterhin möglich sein.
Muslimische Verbände haben heftige Kritik an ihrer geplanten Regelung geübt. Können Sie das nachvollziehen?
Barbara Havliza: Es war mir klar, dass die Verbände darüber nicht glücklich sein könnten. Aber wir müssen diese Abwägung treffen. Was hat für die Justiz und ihre Außendarstellung Vorrang: das Neutralitätsgebot oder die öffentliche Ausübung der Religion im Amt? Und da ist für uns das Neutralitätsgebot das Wichtigere.
Ist das nicht Wasser auf die Mühlen von Islamfeinden?
Barbara Havliza: Das sehe ich nicht so. Es geht ja nicht darum zu sagen: Wir wollen keine Muslima im öffentlichen Dienst oder in der Justiz. Das Gegenteil ist ja der Fall.
Was ist eigentlich mit Kreuzen an den Wänden von Gerichtssälen? Wenn religiöse Neutralität das Ziel ist, müssten die dann nicht eigentlich auch weg?
Barbara Havliza: Das Recht wird durch Menschen gesprochen und nicht durch Säle. Zwar gibt es in Niedersachsen noch zwei Gerichte, in denen Kreuze hängen, in Cloppenburg und in Vechta. Diese Kreuze werden aber abgehängt, wenn ein Beteiligter dies im Gerichtsverfahren wünscht. Darauf besteht auch ein Anspruch, das hat das Bundesverfassungsgericht schon vor vielen Jahren entschieden. (epd/mig)