Interview mit Sami Omar

Unsere Gesellschaft ist scheu und hilflos im Umgang mit Rassismus

Sami Omar ist auf Tour mit Lesungen und Vorträgen zum Themenkomplex Rassismus. Im Gespräch mit MiGAZIN schildert er seinen persönlichen Blick auf aktuelle Ereignisse und warum Feminismus in seinen Vorträgen eine Rolle spielt.

MiGAZiN: Rassistisch motivierte Übergriffe auf Schwarze Bürger häufen sich. Zuletzt wurde ein Patient des Universitätsklinikums Hamburg Opfer einer Gewalttat oder einen Mann aus Eritrea im hessischen Wächtersbach. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie davon erfahren?

Samir Omar: Beide Fälle werfen Fragen nach der Wertigkeit Schwarzer Identität in Deutschland auf. Das sind Fragen, die mein ganzes Tun und Leben begleiten. Darüber hinaus sind sie sehr unterschiedlich gelagert. In Hamburg waren es Schwarze Aktivistinnen und Aktivisten, die den Fall des William Tonou-Mbobda überhaupt erst publik machten und die Gewalt gegen ihn in Zusammenhang mit rassistischen Praktiken des Klinikums brachten. Auch hier war es die traurige Aufgabe der Opfer von Diskriminierung, den Deutungsrahmen von Gewalt gegen sich, selbst auf zu zeigen. Ich bezweifle sehr, dass ohne den Einsatz der Engagierten Fragen nach rassistischen Strukturen innerhalb des Klinikums aufgekommen wären.

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Im Fall von Wächtersbach drängt sich die rassistische Motivation schon in der ersten Betrachtung auf. Und doch schrieben viele Medien davon, die Tat sei „mutmaßlich rassistisch motiviert“ gewesen. Das Wort „mutmaßlich“ wird angewandt, wenn noch kein richterliches Urteil über den Straftatbestand ergangen ist. Die rassistische Motivation war aber längst eindeutig und bedurfte keines richterlichen Urteils, um sie klar zu benennen. Ich finde, das sagt etwas über Scheu und Hilflosigkeit im Umgang mit Rassismus unserer Gesellschaft.

MiGAZiN: Sie stehen selbst oft in der Öffentlichkeit, Sie gehen auf Tour, schreiben Artikel, moderieren und sind Kampagnenreferent eines Wohlfahrtverbandes. Werden Sie auch angefeindet?

Samir Omar: Das kommt vor. Ich spreche ja über Rassismus und den Umgang unserer Gesellschaft mit ihm. Dazu muss ich erklären, wie alt und tief verankert er in ihr ist. In der Psychoanalyse wird Verleugnung als Abwehrmechanismus beschrieben, der den Schutz des Selbst gegen seine eigenen negativen Aspekte bewirken soll. Das ist das Konstrukt, an dem ich oft rüttle, wenn ich mit weißen Deutschen über Rassismus spreche – und das kommt nicht immer gut an.

MiGAZiN: Die Zahl rassistisch motivierter Gewaltverbrechen nimmt zu, die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung sinkt. Welche Rolle nehmen Medien und Politik hierbei ein?

Aktuelle Termine
14.9./18.00 Uhr: Afrika Film-Tage, Utopiastadt, Mirker Straße 48 – 42105 Wuppertal
20.09./13.30 Uhr: NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz 23-25, Köln. Infos & Anmeldung
23.9./19.30 Uhr: Rochuskapelle, Bauhofstraße 3d, 84028 Landshut
24.9.:  Schullesung, Landshut, Infos
16.10./18.00 Uhr: Stadtbücherei Düren, Stefan-Schwer-Straße 6, 52349 Düren
19.10./19.00 Uhr: Stadtbücherei Neustadt, Waschgrabenallee 7, 23730 Neustadt
8.11./18.00 Uhr: Herbert Gerisch-Stiftung, Brachenfelder Str. 69, 24536 Neumünster
15.11./8.00 Uhr: Albert-Einstein-Gymnasium, Buchauer Str. 9, 89079 Ulm-Wiblingen
15.11./19.00 Uhr: Stadtteil-Bibliothek Ulm-Wiblingen, Buchauer Str. 9, 89079 Ulm-Wiblingen
18.11.: IP-Vogelsang, Vogelsang 70, 53937 Schleiden, Infos
5.12./19.00 Uhr: Nadelfabrik, Reichsweg 30, 52068 Aachen

Samir Omar: Es gibt Redaktionen, die rassistisch motivierte Gewalt offensichtlich als real und systematisch erkannt haben. Das ist gut und schlägt sich in Formulierungen nieder, die Rassismus nicht als Problem der Anderen beschreiben. Viel öfter kommt es leider vor, dass Rassismus medial reproduziert oder gar befeuert wird. Das ist dann kein Zufall und zieht sie mit in die Verantwortung für das Handeln ihrer Leser und Zuschauer. Ich glaube, dass Polarisierung Reibung schafft und Reibung schafft Auflage. Vielen Berichten über Gewalt ist die Bemühung um das Erzeugen von Reibung mehr anzumerken, als das Bemühen um Berichterstattung. Das geht auf unser aller Kosten.

MiGAZiN: In Ihren Lesungen ist Rassismus ein Kernthema. Sie erzählen auch oft von persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen. Wie haben Sie zuletzt die Diskussion über den Schalke-Aufsichtsratsvorsitzenden Tönnies erlebt?

Samir Omar: Ach, ich finde, man muss auch mal A*loch sagen dürfen, wenn es angemessen scheint. Ich freue mich über den Einspruch vieler Schalker gegen den Beschluss, den der Ältestenrat getroffen hat. Gleichzeitig darf man nicht glauben, Tönnies habe seine Vorstellungen über Afrika und seine Menschen in einen leeren Raum gesprochen. Wer so etwas öffentlich sagt, der erwartet Zuspruch, oder zumindest Indifferenz und das sollte uns mehr Sorgen machen, als die Meinung eines einzelnen, überbezahlten Neokolonialisten.

MiGAZiN: Erzählen Sie uns über Ihre Lesungen: Wer kommt zu Ihren Vorträgen – und warum spielt Feminismus in Ihren Lesungen eine Rolle?

Samir Omar: Ich werde von Menschen und Organisationen eingeladen, die über Rassismus, Migration und Diskriminierung nachdenken wollen. Das ist schön, denn es zeugt von der Vorstellung, dass es dieses Nachdenkens bedarf. Ich mache das gemeinsam mit dem Publikum und versuche mich allen emotionalen Anteilen literarisch zu nähren. Dann lege ich die Texte irgendwann beiseite und wir sprechen miteinander. Feminismus ist aus zwei Gründen ein Thema bei den Lesungen:

Erstens: Schwarze Frauen sind und waren zentral in der Anti-Rassismus-Arbeit – auch in Deutschland. Oft waren sie es, die Zusammenhänge verschiedener Formen von Diskriminierung offenlegten und öfter noch fanden sie Worte, die anderen Menschen ermutigt haben, ihre eigenen Stimmen zu erheben.

Zweitens: Diskriminierung gegen Frauen ist auch deshalb ein Thema meiner Lesungen, weil sie weißen Menschen näher ist als Rassismus. Wer das Privileg genießt, nicht wegen seiner Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert zu werden, dem dienen Fragen über Frauenfeindlichkeit manchmal als Verständnisbrücke. Ich frage das Publikum dann etwa, ob sie denken, Männer sollten festlegen, wo Gewalt gegen Frauen beginnt. Die Antworten lassen sich auch auf die Deutungshoheit über Rassismus übertragen. Immer sagen die Opfer, wann sie zu Opfern wurden. Nicht die Täter!

MiGAZiN: Sie sind auch oft Gast in Schulen und halten dort Vorträge. Welche Rolle spielt die Schule im Hinblick auf Rassismus und wird sie ihrer Rolle gerecht?

Samir Omar: Ich begreife Schule als mikrokosmische Weissagung der Gesellschaft von morgen. Weniger wichtigtuerisch heißt das: Ich sehe in ihr, wie wir morgen leben könnten. Deshalb rede ich sehr gerne mit Schülerinnen und Schülern und diskutiere über Diskriminierung und Rassismus. Ich wurde in meiner Grundschul-Zeit noch des Klassenraumes verwiesen, als wir die Deutsche Nationalhymne lernten. Es sei ja nicht meine, sagte man mir.

Heute erlebe ich in Schulen viele offene und engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Zu oft glauben sie allerdings noch, Rassismus sein ein Phänomen, dass von außen in die Schule getragen werde – von Eltern und Medien zum Beispiel. Ich versuche, bei der Reflexion über eigene Einstellungen und Rassismen zu helfen. Damit sich Schule als System in Frage stellen und ändern kann.

MiGAZiN: Ihre Eltern stammen aus Eritrea. Wie blicken sie auf Menschen, die heute aus Eritrea nach Deutschland fliehen?

Samir Omar: Meine Eltern heißen Brigitte und Johannes und stammen aus Salzwedel und Olsztyn, dem früheren Allenstein, in Schlesien. „Mutter“ und „Vater“ sind ja eigentlich Verben, weil man es wird, indem man es tut. Aber sie habe recht, meine biologischen Eltern stammen aus Eritrea. Obwohl mich mit Eritrea wenig verbindet, habe ich doch ein Gefühl der Gemeinsamkeit zu den Menschen, die von dort kommen. Dass sie ihr Land verlassen und fliehen müssen macht mich traurig, genauso, wie all der Schrecken und das Leid, dass ihre Flucht mit sich bringt.

MiGAZiN: Sie sind in Ulm aufgewachsen. Sind Sie Schwabe bzw. was ist Heimat für Sie?

Samir Omar: Ich bin Kölner mit schwäbischem Migrationshintergrund. Manchmal sage ich noch versehentlich „Grüß Gott“, ansonsten bin ich voll integriert im Rheinland. Das Wort „Heimat“ ist, ähnlich dem Wort „Kultur“, zum Kampfbegriff geworden, mit dem für mich Besitzanspruch und Hybris verbunden sind. Beides wurde manifest in der Schaffung eines „Heimatministeriums“. Das Wort ist also unbrauchbar geworden für ernsthafte Diskussionen über Zugehörigkeit und Identität. Gefühle der Zugehörigkeit habe ich immer dort, wo Menschen mir das Gefühl geben, dazu gehören zu können.