Kirchentagspräsident Leyendecker

Irritiert über Gleichgültigkeit bei Angriffen auf Muslime

Kirchentagspräsident Hans Leyendecker beobachtet in Teilen der Gesellschaft eine Gleichgültigkeit gegenüber Angriffen auf Muslime. Auch nach den Anschlägen im neuseeländischen Christchurch habe es Irritierendes gegeben. Franziska Hein und Michael Ridder sprachen mit ihm.

Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern hat nach den Anschlägen von Christchurch ein Kopftuch getragen, um ihre Solidarität mit den Opfern auszudrücken. Wäre eine ähnliche politische Geste von einer führenden deutschen Politikerin denkbar?

Hans Leyendecker: Das war eine menschliche Geste, die unheimlich viel bewirkt hat. Es zeigt, wie man einen solchen Anschlag auch als Gesellschaft gemeinsam ertragen kann. Ob jetzt Frau Merkel, Frau Kramp-Karrenbauer oder Frau Nahles die Kraft zu solch einer Geste hätten, muss jede von ihnen selbst beantworten. Aber ich habe da durchaus Hoffnung.

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Haben die Deutschen zu viele Vorbehalte vor dem Kopftuch?

Info: Hans Leyendecker wurde am 12. Mai 1949 in Brühl im Rheinland geboren. Er ist Präsident des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Dortmund. Nach dem Abitur absolvierte er ein Volontariat beim „Stader Tageblatt“, später nahm er ein Geschichtsstudium auf. Ab 1979 arbeitet er beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ als Landeskorrespondent für Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf und wechselte 1997 zur „Süddeutschen Zeitung“ nach München. 2009 übernahm er die Leitung des neu geschaffenen Ressorts für Investigative Recherche bei der SZ. Bekannt wurde er 1982 mit einer Titelgeschichte beim „Spiegel“ über Schmiergeldzahlungen des Flick-Konzerns an deutsche Politiker.

Hans Leyendecker: Was die Situation in Deutschland angeht, möchte ich zwei Punkte trennen: Wenn es um das Problem des Antisemitismus geht, müssen wir darüber sprechen, was junge Muslime so sagen, denken und tun. Da gibt es Arbeit. Denn es sind Leute ins Land gekommen, die dem Judentum seine Existenzberechtigung absprechen wollen. Denen müssen wir erklären, dass jemand, der bei uns leben will, auch unsere historische Verantwortung mit zu tragen hat. Es gibt aber auch etwas, das mich irritiert. Nach meiner Wahrnehmung gab es zum Beispiel bei den NSU-Morden wenige Reaktionen, die über das normale Erschrecken hinausgingen. Ich glaube schon, dass bei Angriffen auf Muslime einige Menschen in diesem Land mit den Schultern zucken.

Die Premierministerin hat auch gefordert, dass Medien den Namen des Attentäters nicht nennen sollen. In Deutschland gab es darüber eine Debatte. Halten Sie es für geboten, den Namen nicht zu nennen und auch das Manifest des Täters nicht zu veröffentlichen?

Hans Leyendecker: Ich kann mich an den Anschlag von Anders Breivik in Norwegen 2011 erinnern. Auch er hatte ein Manifest geschrieben. Bei der „Süddeutschen Zeitung“ haben wir damals für die Seite drei das Manifest ausgewertet. Wir hatten damit die bessere Geschichte, weil man den Wahn des Attentäters schildern und seriös aufklären konnte. Allerdings darf man sich an diesen Darstellungen niemals berauschen.

Bei dem Täter von Neuseeland kommt man nicht um die Namensnennung rum, weil seine Tat international so viel Echo hervorgerufen hat und weil der Terrorist ein globales braunes Netzwerk hat. Ich halte es aber für verantwortungslos, dass Medien Ausschnitte des Täter-Videos gezeigt und Fotos von Opfern widerrechtlich genutzt haben. Journalismus darf sich nie zum Handlanger von Terroristen oder Verbrechern machen lassen. (epd/mig)