Keine Menschlichkeit

Der UN-Migrationspakt – eine Kontrollvereinbarung zum Staatsnutzen

Weder der Migrations- noch der Flüchtlingspakt sind ein Akt der Menschlichkeit. Es geht darum, Armutsmigration zu beschränken und die Anwerbung von nützlichen Migranten zu ermöglichen. Von Suitbert Cechura

Ende 2018 haben über 160 Staaten den UN-Migrationspakt verabschiedet und anschließend um einen Flüchtlingspakt ergänzt. Damit haben sie eine grundlegende Unterscheidung getroffen: Wer sich z.B. aus Armutsgründen auf den Weg nach Europa macht und im Meer ertrinkt, ist kein Flüchtling, sondern Migrant, der aus welchem Grund auch immer von A nach B will und dabei Grenzen überschreitet. Als Illegaler kann er zurückgeschickt und in Libyen eingesperrt werden – ein Rechtsstandpunkt, den nicht nur die Kanzlerin, sondern auch die deutsche Presse inzwischen übernommen hat, wobei man sich natürlich  von den einschlägigen Lagern distanziert.

Gemeinsames Interesse?

Mit dem Titel „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ geben die Staaten gleich ihre Absicht kund: Migration soll kontrolliert und – soweit ohne Staatsnutzen – verhindert werden. Für den Kontrollzweck sollen alle Bürger staatlich erfasst und identifizierbar werden sowie einem strikten Grenzregime unterliegen. Dazu gehört natürlich, dass die Umgehung von Grenzkontrollen unterbunden wird; deswegen sieht der Vertrag den gemeinsamen Kampf gegen das Schleuserwesen vor.

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Wenn Staaten eine solche Vereinbarung treffen, zeugt das davon, dass sie am verhandelten Gegenstand ein gemeinsames Interesse haben, das aber aus ganz unterschiedlichen Quellen stammen mag. Alle Staaten sind mit Menschen konfrontiert, die ein-, aus- oder durchreisen wollen. Somit sind alle Herkunfts-, Transit- oder Zielland, dies jedoch in ganz verschiedenem Umfang!

Einige Staaten profitieren davon, wenn Menschen, die eher stören oder Kosten verursachen, im Ausland Geld verdienen und es in die Heimat überweisen. Sie erhalten jetzt offiziell den Auftrag, ihre Bevölkerung entsprechend zu kontrollieren und qualifizieren, damit sie für auswärtige Beschäftigung brauchbar ist, falls dort Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften besteht. Sie sollen sogar Unterstützung für ihre wirtschaftliche Entwicklung erhalten. Ob dies aufgeht, ist eine ganz andere Frage, machen doch die kapitalistischen Metropolen die Nutzung dieser Länder davon abhängig, dass ihnen besondere Konditionen geboten werden. Ihr Interesse an dem Pakt – siehe das Beispiel Deutschland – besteht darin, dass Armutsmigration eingeschränkt wird. Und das nicht nur durch Kontrolle, sondern auch durch Information, die den Einwohnern deutlich macht, dass sie keine Chance auf Aufnahme in Europa haben. Hier hat die EU schon einiges unternommen…

Wo Deutschland aber nützliche Zufuhr für den eigenen Arbeitsmarkt vermutet, möchte es das Recht haben, Leute anzuwerben. Schließlich benötigt man allerlei Fachkräfte (IT, Pflege…). Dies wird natürlich nicht als Anspruch an bestimmte Staaten formuliert, sondern als gemeinsames Interesse an der Steuerung der Migration. Der Einsatz der Migranten soll dann entsprechend kapitalistischer Geschäftsbedingungen erfolgen – als freie Lohnarbeiter und nicht als Lohnsklaven. Deswegen verbietet der Pakt Ausbeutung, die allerdings nicht vorliegen soll, wenn Unternehmen Arbeiter zu Löhnen beschäftigen, die sicherstellen, dass die erbrachte Leistung einen Gewinn abwirft. Nicht die Benutzung der Arbeitskraft zur Gewinnerzielung gilt als Ausbeutung, sondern der außerökonomische Eingriff, der diesen nach marktwirtschaftlicher Logik über aller Kritik stehenden Vorgang behindert, indem z.B. die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers eingeschränkt und die Konkurrenzsituation für die Unternehmen dadurch verfälscht wird.

Betont wird der Gleichbehandlungsgrundsatz, der den Menschen dort zu gewähren sei, wo sie gebraucht werden. Hetzjagden und Hasstiraden sind dann nicht angebracht. Die einen Länder erhalten so den Zugriff auf eine Reservearmee für ihren Arbeitsmarkt, die anderen Devisen durch die Nutzung ihrer überflüssigen Bevölkerung. Und das in dem Umfang, wie in den Metropolen Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften besteht, so das Ideal des Paktes!

Nur Selbstverpflichtung

Und dies alles in voller Souveränität der beteiligten Staaten, wie die Präambel hervorhebt. Der Pakt ist rechtlich nicht bindend. Er beruht auf einer Selbstverpflichtung, die die Staaten eingehen, ohne ihre Souveränität einzuschränken. Das bedeutet, dass letztendlich ihre Kalkulationen zählen. Als Basis für die Zusammenarbeit haben sie sich auf 23 Ziele und entsprechende Maßnahmen geeinigt und gleichzeitig auf weitere Konferenzen und Überprüfungen, bei denen die Fortschritte der Umsetzung Thema sein sollen. Das zeigt, dass sich die Staaten bei aller Betonung der Gemeinsamkeit misstrauen, sonst bedürfte es nicht der fortwährenden Kontrolle. Diese soll allerdings auf den Bereich der Diplomatie beschränkt bleiben, also als diplomatisches Mittel benützt werden, wobei jeder Staat die Druckmittel einsetzt, über die er verfügt.

Obwohl der Pakt eine Selbstverpflichtung von Staaten darstellt, die nicht in ihre Souveränität eingreift, haben einige (USA, Ungarn…) ihn abgelehnt. Die Entscheidung, wer einreist, wie die Grenzsicherung aussieht etc., wollen sie nicht zum Gegenstand internationaler Vereinbarung machen, weil sie darin schon eine Einschränkung ihrer Hoheit sehen. Dass diese Staaten rabiater mit Migranten umgingen, ist damit nicht gesagt. Ein ungarischer Grenzzaun unterscheidet sich ja nicht von einem Zaun des Paktstaates Spanien an der afrikanischen Exklave, letzterer ist wahrscheinlich höher.

Deutschland ist stolz auf diese Übereinkunft, mit der es vor allem die Armutsmigration in den Griff bekommen will; die Kanzlerin hat das durch ihre Anwesenheit unterstrichen. Zeitgenossen, die sonst der deutschen Politik kritisch gegenüberstehen, wollten in dem Pakt einen Akt der Menschlichkeit entdecken. Damit gehen sie – wie jüngst auch im Auswege-Magazin gezeigt wurde – am Gehalt der Übereinkunft gründlich vorbei.