Es ist der 10. Oktober 2018. Acht uniformierte Polizisten und Mitarbeiter der Ausländerbehörde machen sich auf den Weg für eine nächtliche Abschiebung. Sie suchen Samuel (Name geändert) in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge auf, treffen ihn dort jedoch nicht an.
Samuel ist im Thüringer Krankenhaus Saalfeld. Seine Frau liegt mit Geburtswehen im Kreißsaal. Gegen 2 Uhr treffen die Beamten dort ein und nehmen Samuel „unter demütigenden Umständen“ mit, wie der Flüchtlingsrat Thüringen beschreibt. Er soll zum Frankfurter Flughafen gebracht und von dort aus nach Italien abgeschoben werden.
Offenbar ist es kein Einzelfall, dass Menschen aus dem Krankenhaus abgeschoben werden. Der Menschenrechtsbeauftragte der Thüringer Landesärztekammer, Helmut Krause, kritisiert diese Praxis: „Der gesundheitliche und medizinische Raum des Krankenhauses ist eine Grenze für den Vollzug von Abschiebungen. Es bleibt unverständlich, warum diese Grenze ein zweites Mal in diesem Jahr in Thüringen nicht respektiert wurde. Wir erwarten, dass der Schutzraum Krankenhaus und die menschenrechtlichen Aspekte in solchen Situationen gewahrt werden.“
Ministerien weisen Verantwortung ab
Das Thüringer Innenministerium wollte den Vorfall dem MiGAZIN gegenüber weder bestätigen noch dementieren, „aus Zuständigkeitsgründen“, wie ein Sprecher mitteilte. In Thüringen sei das Ministerium für Migration und Justiz für Abschiebemaßnahmen zuständig. Auf Anfrage beim Justizministerium teilte ein Sprecher dem MiGAZIN wiederum mit, das Innenministerium sei zuständig. An dem Einsatz seien Polizeibeamte und Mitarbeiter der Ausländerbehörde beteiligt gewesen, die dem Innenministerium unterstehen. Schriftliche Anfragen an die Ministerien blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Dass der Fall von Samuel noch eine gute Wendung nimmt, ist dem couragierten Einsatz der diensthabenden Hebammen, Gabriele Hampe und Gabriele Scholz, zu verdanken. Durch ihre Anrufe und Proteste wird die nächtliche Abschiebung in letzter Minute noch gestoppt. Samuel darf wieder zu seiner jungen Familie fahren.
„Das schockiert mich“
„Dass so etwas in Thüringen und in unserem Landkreis möglich ist, schockiert mich. Den Behörden war bekannt, dass das junge traditionell verheiratete Paar ein gemeinsames Baby erwartet und es lag sogar eine vorgeburtliche Vaterschaftsanerkennung vor. Unser Dank gilt allen, die dazu beigetragen haben, dass die Abschiebung in letzter Minute gestoppt wurde“, so Gertraud Jermutus von der Caritas Sozialberatung in Saalfeld.
„Die unsäglichen Debatten über höhere Abschiebezahlen und vermeintliche ‚Vollzugsdefizite‘ schaffen den Raum für ein derartiges behördliches Vorgehen. Damit muss jetzt Schluss sein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Ausländerbehörden müssen den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie und menschenrechtliche Standards wahren. Wir fordern sowohl das BAMF als auch die zuständigen Thüringer Ministerien auf, unverzüglich sicherzustellen, dass sich derartiges keinesfalls wiederholt“ so Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V. (mig)