Nebenan

Senile Bettflucht

Bei Horst Seehofer weicht politische Gegnerschaft einer zunehmend tief empfundenem Mitleid. Und sie weicht dem Wunsch an seine Vorgesetzte, ihn doch bitte endlich aus seinem Amt und in die längst überfällige Rente zu entlassen. Von Sven Bensmann

Mir ist bewusst, dass dies vielleicht nicht der passende Ort für ein so persönliches Thema ist, aber ich muss an dieser Stelle einmal über Alterssenilität reden. Selbst dann, wenn es niemanden aus dem engsten Familienkreis betrifft, macht diese Analyse doch immer betroffen: Die Senilität ist eine Sackgasse, aus der es keine Umkehr gibt, in der der Betroffene langsam den Sinn für die Realität verliert und selbst das zunehmend nicht mehr mitbekommt.

Als Angehöriger ist man dazu verdammt, als Zuschauer zur Passivität verurteilt und schlicht und einfach machtlos der fortschreitenden Degeneration zuzusehen: Kein Wunder, dass wir uns dieser schmerzenden Erfahrung möglichst entziehen und öffentlich über dieses Thema möglichst nicht reden.

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Doch es gibt diejenigen, die handeln können, letztlich gar müssen. Ist der Betroffene nämlich noch werktätig, liegt es an beispielsweise seinem Arbeitgeber, entsprechende Vorbereitungen zu treffen, um ihn vor sich selbst zu schützen; ist die Person gar in leitender Funktion tätig, sind auch viele andere zu schützen. Den direkten Vorgesetzten trifft hier eine große Verantwortung, mit der Umzugehen er möglicherweise selbst nicht vorbereitet ist.

Jetzt rede ich hier logischerweise nicht über einen Fall in der erweiterten Familie, darüber vielleicht, dass Onkel Erwin keine Klempnertermine mehr planen sollte: der senile Greis, der dringend aus seiner leitenden Funktion entfernt werden muss, ist kein anderer als derjenige, der für die innere Sicherheit in Deutschland zu sorgen hätte – und stattdessen sich lieber einen darüber zusammenkichert, dass passend zu seinem Geburtstag Menschen in ein Kriegsgebiet abgeschoben wurden, die letztlich so verzweifelt waren, dass zumindest einer dieser Menschen seinem Leben ein Ende setzte. Aber es sind ja auch alles nur Zahlen auf einem Stück Papier, keine richtigen Menschen: Ausländer halt.

War es hier in der Vergangenheit leicht, Seehofer für seine Aussagen anzugreifen, weil seine menschenverachtenden, teils gewaltverherrlichenden Wortmeldungen Ausdruck einer menschenverachtenden, teils gewaltverherrlichenden Weltanschauung waren, fällt es inzwischen zunehmend schwerer, zwischen politischer Ideologie und seniler Bettflucht zu unterscheiden. Politische Gegnerschaft weicht so zunehmend tief empfundenem Mitleid. Und sie weicht dem Wunsch an seine Vorgesetzte, ihn doch bitte endlich aus seinem Amt und in die längst überfällige Rente zu entlassen.

Dass es sich hier längst nicht mehr um eine politische Frage handelt, sondern um eine des guten Geschmacks, eine Frage von gesundem Menschenverstand vielleicht, zeigt sich im Übrigen auch darin, das nicht nur die allgemeine Zustimmung Seehofers in Deutschland fällt und fällt und fällt – was den eingeschlagenen AfD-Kurs als Antwort auf die anstehende Landtagswahl als großen Fehler beweist – sondern vor allem auch, dass eine Mehrheit der Unionswähler inzwischen Horst Seehofer aus dem Amt jagen will, dass spekuliert wird, Seehofers Altersstarrsinn lasse ihn die Wahl bewusst sabotieren, um seinem Nachfolger zu schaden – und das nur die AfD-Wähler mehrheitlich zu Seehofer stehen.

Die Erkenntnis immerhin bleibt dieselbe: Seehofer muss weg.