"Es fehlt eine Kultur der Barmherzigkeit"

Käßmann über die Flüchtlingsdebatte in Deutschland und Europa

Die Theologin Margot Käßmann (60) tritt in den Ruhestand. Während ihrer Amtszeit hatte sich die frühere hannoversche Landesbischöfin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stets für Flüchtlinge und Asylsuchende eingesetzt. Im Gespräch erläutert sie, wie sie die aktuelle politische Situation in dieser Frage einschätzt.

Frau Käßmann, in Deutschland und auf europäischer Ebene tobt momentan ein heftiger Streit um den Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern. Wie sehen Sie das?

Margot Käßmann: Ich finde es dramatisch, dass nur noch gestritten wird, wie wir Flüchtlinge abwehren und abhalten können, und das Schicksal dieser einzelnen Menschen, die in Not geraten sind und in Europa Frieden und Freiheit suchen, gar nicht mehr gesehen wird. Da fehlt mir eine Kultur der Barmherzigkeit.

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Halten Sie das politische Klima momentan für vergiftet?

Margot Käßmann: Ja, das politische Klima ist vergiftet, ganz besonders auch durch die AfD und die Sprache, die sie spricht. Indem ständig Tabus überschritten werden, Menschen aufgrund ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe niedergemacht werden. Diese Enttabuisierung lässt die Sprache verrohen. Und ich fürchte, die ist dann auch die Grundlage für Gewalt gegen Menschen.

Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun?

Margot Käßmann: Wir müssen alle dagegenhalten, dass hier über Menschen, weil sie muslimischen Glaubens sind, weil sie aus Afrika stammen, derart negativ gesprochen wird. Deutschland ist ein Land mit Migration. Und wir werden sozusagen postmigrantisch definieren müssen, was es heißt, deutsch zu sein.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Margot Käßmann: Mir machen die vielen jungen Leute Hoffnung, die sich engagieren, die ich auch erlebt habe in den letzten Jahren. Die werden dafür eintreten, dass dieses Land ein liberales, ein freies, ein weltoffenes Land bleibt. (epd/mig)