Presserat-Statistik

Rückgang von Beschwerden über Herkunftsnennung von Verdächtigen täuscht

Wäre der Konsum von Cannabis legal, gäbe es weniger Anzeigen dagegen. Das ist logisch. Genauso logisch ist der Rückgang von Beschwerden beim Presserat wegen unbegründeter Nennung der Herkunft von Verdächtigen. Von Said Rezek

Stellen wir uns vor, der Besitz und Konsum von Cannabis wäre legal. In der Strafverfolgungsstatistik würde dieses Delikt von jetzt auf gleich verschwinden. Im Umkehrschluss wäre jedoch nicht weniger Cannabis im Umlauf, vermutlich sogar mehr. So ähnlich ist es mit der Statistik des Presserates im Kontext der Kriminalitätsberichterstattung.

Die Hürden für eine Erwähnung diskriminierender Merkmale wie Religion oder Herkunft in Medienberichten, sind mit Änderung der Richtlinie 12.1 des Presserates gesenkt worden. Und dadurch auch die Anzahl der Rügen. Ursprünglich war ein „begründeter Sachbezug“ bei der Nennung von Herkunft und Religionszugehörigkeit von Verdächtigen und Verurteilten in der Presse ausschlaggebend, jetzt das „begründete öffentliche Interesse“.

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Wo kein Verbot, da keine Beschwerde

Das erklärt sehr wahrscheinlich auch den Rückgang der Beschwerden in diesem Bereich. Seit der Neuformulierung der Richtlinie im März 2017 bis Dezember 2017 gingen laut dem Presserat 23 Beschwerden ein, im gleichen Zeitraum 2016 waren es noch 42 gewesen. Aber warum sollte sich noch jemand beschweren, wenn der Beschwerdegrund nicht mehr gegeben ist? Wir würden den Cannabis-Konsum ja auch nicht mehr zur Anzeige bringen, wenn er erlaubt wäre.

Prominentes Beispiel ist der Sexualmord in Freiburg durch einen Flüchtling. Während nach neuer Richtlinie die Herkunftsnennung legitim ist, wäre es nach alter Richtlinie falsch. Da es sich um eine schwere Straftat handelt, liegt laut dem Presserat ein öffentliches Interesse vor, aber es fehlt der Sachbezug.

Die Nennung der Herkunft schürt Vorurteile

Abgesehen davon wurden fast alle Sexualmorde im Jahr 2017 von Deutschen begangen, so Christian Walburg, vom Kriminalwissenschaftlichen Institut der Uni Münster: „Bei Sexualmorden sind „90 bis 95 Prozent der Tatverdächtigen Deutsche […] Bei insgesamt elf Verdächtigen wegen Sexualmorden im vergangenen Jahr (2016) gab es einen nicht-deutschen Tatverdächtigen. Der Fall jetzt in Freiburg ist also eine Ausnahme“.

Das zeigt, wie trügerisch persönliche Merkmale sein können. Weder beim Flüchtling noch bei den Deutschen Sexualmördern liegt ein begründbarer Sachbezug vor. Durch die Nennung der Herkunft entsteht jedoch der Eindruck, als stünde diese im Zusammenhang zur Tat und es werden Vorurteile geschürt.

Herkunftsnennung nur bei begründetem Sachbezug

Die Jahresbilanz des Presserates lässt auf dem ersten Blick eine sorgfältigere Berichterstattung vermuten, ist jedoch durch eine Aufweichung der Standards zu erklären. Das öffentliche Interesse ist eine dehnbare Formulierung im Gegensatz zum Sachbezug. Das ist keine Verbesserung, sondern eine Grenzverschiebung des Sagbaren. Die Statistik erfasst diskriminierende Sprache nicht mehr in dem Maße wie zuvor, weil sie nicht mehr als solche eingestuft wird.

Das ist kein Grund für Euphorie, sondern besorgniserregend. Unabhängig von der geänderten Richtlinie sollten verantwortungsbewusste Journalisten weiterhin nur bei einem begründeten Sachbezug, Angaben zur Herkunft und Religion machen. Alles andere ist für die Berichterstattung irrelevant.