Interview mit Josef Schuster

Die AfD würde auch gegen Juden hetzen

Kurz vor dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar will der Bundestag mit einem Antrag zur Bekämpfung von Antisemitismus ein Zeichen setzen. Enthalten ist darin auch die Forderung nach einem Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, den auch der Zentralrat der Juden in Deutschland einfordert. Im Gespräch erklärt dessen Präsident Josef Schuster, was ihm momentan am meisten Sorgen bereitet.

Herr Schuster, am 27. Januar jährt sich die Befreiung von Auschwitz zum 73. Mal. Am 31. Januar hält der Bundestag seine traditionelle Gedenkstunde ab. Warum bleibt das Erinnern wichtig?

Josef Schuster: Für uns Juden ist die bleibende Erinnerung an unsere ermordeten Angehörigen selbstverständlich. Insgesamt für die Gesellschaft halte ich die Erinnerung für so wichtig, weil die Schoa, also die Vernichtung der europäischen Juden während des Nationalsozialismus, wie kein Geschehen sonst in der Geschichte zeigt, wohin die Ausgrenzung und Verfolgung einer Minderheit im Extremfall führen kann und wozu der Mensch fähig ist. Bei der Beschäftigung mit der Schoa wird jedem vor Augen geführt, welche Bedeutung Artikel eins unseres Grundgesetzes hat, die Achtung der Menschenwürde.

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In den vergangenen Wochen wurde in Deutschland viel über Antisemitismus diskutiert. Was macht Ihnen derzeit besonders Sorgen?

„Am meisten Sorgen bereitet mir der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft.“

Josef Schuster: Am meisten Sorgen bereitet mir der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft. Er kommt häufig im Gewand einer überzogenen und völlig einseitigen Kritik an Israel daher und enthält oft mehr typische antisemitische Vorurteile, als es den Menschen bewusst ist. Sie transportieren uralte judenfeindliche Stereotype, ohne es zu merken, und geben sie an die nächste Generation weiter.

Es gibt den Vorschlag, Besuche in KZ-Gedenkstätten in Deutschland zur Pflicht zu machen – für Asylsuchende ebenso wie für Schüler. Warum sind Sie dafür?

Josef Schuster: In einer KZ-Gedenkstätte wird das, was die Schüler zuvor im Geschichtsunterricht aus Büchern oder Filmen gelernt haben, sehr viel anschaulicher. An den authentischen Orten ist es möglich, Empathie mit den Opfern zu entwickeln. In Bayern sind Gedenkstätten-Besuche der höheren Klassen der Regelfall. Ich denke, auch die anderen Bundesländer könnten wenigstens Pilotprojekte starten, um Erfahrungen zu sammeln. Ich sehe solche Besuche als einen Baustein in der Bildungsarbeit. In den Integrationskursen könnten solche Besuche ebenfalls sinnvoll sein, um den Menschen, die neu zu uns kommen, unsere Werte und unseren Umgang mit der NS-Vergangenheit nahezubringen.

Sie sprachen in dem Zusammenhang von „importiertem Antisemitismus“ durch Asylsuchende aus dem arabischen Raum. Braucht es für Bildung, Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus bei dieser Gruppe andere Methoden als bei Schülern, die in Deutschland aufwachsen?

„Nach meinem Eindruck versucht die AfD, das Thema Antisemitismus bei Migranten zu instrumentalisieren, um Migranten generell zu verunglimpfen. Das dürfen wir nicht machen.“

Josef Schuster: Es ist mit Sicherheit schwieriger, einem Erwachsenen, der mit einem positiven Hitler-Bild und einem Hass auf Juden groß geworden ist, unsere Sicht der Dinge zu vermitteln als einem jungen Menschen.

Die AfD beklagte jüngst wachsenden Judenhass durch Migranten. Nehmen Sie Vertretern der Partei Aussagen zum Antisemitismus ab?

Josef Schuster: Nach meinem Eindruck versucht die AfD, das Thema Antisemitismus bei Migranten zu instrumentalisieren, um Migranten generell zu verunglimpfen. Das dürfen wir nicht machen. Das wird diesen Menschen auch überhaupt nicht gerecht. Ich gehe davon aus, dass die AfD auch gegen Juden hetzen würde, wenn es politisch für sie von Vorteil wäre.

Im Bundestag wird ein Antrag zur Bekämpfung von Antisemitismus diskutiert. Er greift die Forderung nach einem Antisemitismus-Beauftragten auf. Was konkret sollte ein solcher Beauftragter leisten?

Josef Schuster: Ein solcher Beauftragter könnte längerfristig und ohne Ressortdenken die Entwicklungen beim Thema Antisemitismus beobachten sowie Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung entwickeln und koordinieren. Ebenso sollte er in regelmäßigem Austausch mit Experten und der Zivilgesellschaft stehen und Ansprechpartner für die jüdische Gemeinschaft sein.

Der Antrag fordert auch eine Förderung von Dialogprojekten zwischen Juden und Muslimen. Gibt es jüdische Gemeinden, die diesen Dialog bereits praktizieren?

Josef Schuster: Ja, das gibt es. In meiner Gemeinde zum Beispiel in Würzburg bieten wir ein Mittagessen für die benachbarte Schule an, die sehr viele muslimische Kinder besuchen. Da unser Essen koscher ist, erfüllt es auch die Kriterien der muslimischen Speisevorschriften. In anderen Gemeinden kommen regelmäßig muslimische Besuchergruppen. Und 2016 haben wir gemeinsam mit den Kirchen und muslimischen Verbänden das Projekt „Weißt du, wer ich bin?“ wieder neu aufgelegt, bei dem es vor allem um Hilfe für Flüchtlinge ging. (epd/mig)