Nebenan

Institutioneller Rassismus

Fälle wie NSU oder Oury Jalloh zeigen, wie Strafverfolgung in Deutschland ausieht, wenn die Opfer nicht weiß sind. Sven Bensmann mit einem passenden Witz und einem schlechten Beispiel.

Das letzte Jahr war insgesamt ein recht angenehmes, von immer neuen Enthüllungen darüber, dass Machtstrukturen eben dazu führen, dass diese in egoistischer Weise ausgenutzt werden, abgesehen. Was sich jetzt in der Sexismusdebatte entlädt, ließe sich daher auch problemlos auf die Abschottungspolitik der EU, organisierte Religion und auf den Kapitalismus an sich übertragen. Angenehm war es, dass der Blick über das große Wasser im Westen uns ein Land voll von Rassisten, weißen Nationalisten, Alten Rechten und ihrem außerwählten pussygrabschenden Führer, vor Augen führte: deren Problem, nicht unseres.

Angenehm ist es, weil all die Tiki-Parties, nicht matternden schwarzen Leben und Mauern zu Mexiko den Blick abwandten von jener salzhaltigen Mauer im Süden Europas, an der der Schießbefehl einfach ein wenig anders interpretiert wird. Es ersparte uns zum Abschluss des NSU-Prozesses eine breitere Diskussion darüber, wie es sein kann, dass der deutsche Staat in der Mordserie einer organisierten Terrorzelle durch immer neue Behinderungen der Justiz – geschredderte Akten, tote Zeugen und politische Manöver – den Kreis der Täter auf drei reduzieren konnte und damit eine breitere Erzählung von der Komplizenschaft deutscher Verfassungsschutzämter und Innenministerien erfolgreich verhindern konnte. Dies muss als Scheitern der dritten und vierten Gewalt im Land verstanden werden.

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Es erspart uns auch, über Oury Jalloh nachzudenken, dessen Geschichte an jenen alten Witz erinnert: Zwei Polizisten ziehen einen toten Juden aus dem Fluss: Ein Messer steckt im Rücken, insgesamt 48 Messerstiche zählen die beiden, er ist noch immer mit schweren Eisenketten gefesselt und umwickelt. Und der Eine wendet sich an den Anderen: „Mein Gott, einen so brutalen Selbstmord habe ich ja noch nie gesehen!‘

Nur um den Fall kurz zusammengefasst zu haben: Oury Jalloh hat in seiner Gefängniszelle, gefesselt durch Hand- und Fußfesseln, sich selbst und seine feuerfeste Matratze mit Brandbeschleuniger übergossen und angezündet – und so getötet.

Ja, allerdings, so sieht Strafverfolgung in Deutschland aus, wenn das Opfer nicht weiß ist. Hier keinen institutionellen Rassismus zu erkennen, der sich tief in die deutsche Gesellschaft hinein erstreckt und nicht nur in AfD und CSU manifest wird, muss man schon blind sein. Dazu ist es nicht einmal notwendig, darauf zu verweisen, dass es der Mord an einer weißen Polizistin war, der dem NSU letztlich ein Ende bereitete; das weiterhin täglich ein Flüchtlingsheim brennt, ist nicht einmal mehr eine Meldung wert: es ist einkalkuliert und weggeheftet, wo es niemanden mehr belästigt. Da wird es schon als gute Nachricht verkauft, dass es zuvor noch ein Vielfaches davon war.

Nun mag sich der ein oder andere aufrechte Gutmensch natürlich fragen, wie eine so rassistische Strafverfolgung denn existieren kann, in einem Land, in dem doch beispielsweise ein Polizist, der rechtsextreme CD‘s vertreibt, sich die NSDAP-Hymne tätowieren lässt und offen den Hitlergruß zeigt, erst nach Jahren im Dienst überhaupt behelligt wird – und dann auch noch weitere 10 Jahre auf Staatskosten Hitler- und Hess-Memorabilien sammeln darf.

Aber das war wohl kein gutes Beispiel…