Abkehr von der Identität

Integration ist keine Frage des Namens

Nordrhein-Westfalen möchte Migranten Namensänderungen erleichtern, damit sie „ihre Integration verfestigen“ können. Dieser Vorstoß suggeriert, das Diskriminierungen durch Namensänderung beseitigt werden können. Zudem wird den Betroffenen eine Bringschuld auferlegt. Von Katharina Ben Eladel

Nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Landesregierung sollen Migranten künftig ihren Nachnamen leichter ändern dürfen. Durch die Vereinfachung des Namensrechts solle Zuwanderern die Möglichkeit gegeben werden, „komplizierte“ Namen beispielsweise abkürzen und „ihre Integration verfestigen“ zu können.

Die geplante Bundesratsinitiative scheint die simple Lösung für ein bekanntes Problem zu sein. Ganze Regalmeter füllt inzwischen die sozialwissenschaftliche Forschungsliteratur zu der Frage, ob Träger eines „ausländischen“, sprich: arabischen, afrikanischen oder türkischen, Nachnamens auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt benachteiligt sind. Die Antwort: Ein klares Ja. Die Betroffenen selbst hätten für diese Erkenntnis keine teuren Forschungsprojekte benötigt. So ist ihr alltägliches Erleben aber wenigstens quantitativ erhoben und ausgewertet worden. Immerhin.

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Integration durch Namen?

Wo die „Integration“ aufgrund der derzeitigen Rechtslage beim Familiennamen versagt, muss sie zumindest am Vornamen erkennbar werden. Denn auch der kann, so haben es zumindest einige französische Vorgesetzte vor geraumer Zeit erkannt, auf potenzielle Kunden und Auftraggeber „abschreckend“ wirken. Kurzerhand wird aus „Mohammed“ „Alexandre“, aus „Sélima“ wird „Anne“ und aus „Rachid“ „Richard“. Wer sich weigert, fliegt.

Gern wird in diesem Zusammenhang auch auf ostasiatische Communities verwiesen, wo es angeblich bereits seit Langem ohne viel Aufhebens üblich sei, dem Kind einen landestypischen Vornamen zu geben, wenn es z. B. in Deutschland, Frankreich oder den USA aufwachsen soll. Doch selbst wenn diese Praxis tatsächlich Indikator einer höheren Integrationsbereitschaft sein sollte, warum hat es ein „Florian Huong“ in den Schlüsselbereichen des sozialen Lebens dann vergleichsweise leichter als eine „Lena Khianzadeh“ oder ein „Julian Okonkwo“? Warum muss „Daniel Neumeier“ als Sohn einer deutschen Mutter, eines jamaikanischen Vaters und Träger eines „typisch deutschen“ Namens trotzdem mehr als dreimal so viele Bewerbungen verschicken wie sein weißer Kommilitone?

Abkehr von der Identität

Die Abkehr von der eigenen Identität lässt sich eigentlich kaum drastischer ausdrücken, als durch eine Namensänderung. Es geht um Zugehörigkeit, aber eben auch um die Möglichkeit, selbstbewusst „Ich“ zu sagen. Nicht von ungefähr haben Aktivistinnen der zweiten Frauenbewegung für das Recht gestritten, den eigenen Familiennamen auch nach der Eheschließung weiterführen zu können. Und vielleicht werde von manchen Leuten deshalb gefragt, wie denn nun mein islamischer Name laute.

Angehörige, insbesondere die Eltern, erleben eine Namensänderung immer als Schock und Infragestellung. Sehr anschaulich beschreibt das z. B. die ehemalige ZEIT-Redakteurin Ilka Piepgras in ihrem Buch „Meine Freundin, die Nonne“.

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Integration ist keine Einbahnstraße

Der Vorschlag der NRW-Regierung ist deshalb schlimm, weil er suggeriert, das nachweisliche Diskriminierungen durch eine Namensänderung kurzfristig beseitigt werden können. Dadurch wird der Spieß in gewohnter Manier einfach umgedreht und den Betroffenen eine Bringschuld auferlegt. Tenor: Integration ist keine Einbahnstraße. Das ist richtig, und deshalb ist es ein Unding, dass der Bundesvorsitzende der GRÜNEN auch nach über fünfzig Jahren Einwanderungsgeschichte immer noch als „Herr Özdemir“ (mit gut hörbarem deutschem Z) vorgestellt wird. Dass Nachrichtensprecher sich bei arabischen, türkischen oder persischen Namen nicht einmal vorsichtig an der korrekten Aussprache versuchen. Dass „Helpdesk-Manager“ in international tätigen Großunternehmen für alle Anwesenden gut vernehmbar durch den Raum trompeten, dass „der Herr Dingsbums“ ein Anliegen hat.

Besser Diskriminierung beseitigen

Er kommt außerdem zu einem Zeitpunkt, da sich viele Migranten, Menschen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ und PoC ohnehin fragen, ob sie mit ihrer Geschichte, ihrer Herkunft und ihrem kulturellen Erbe in Deutschland überhaupt (noch) erwünscht sind.

Statt die für alle sichtbare strukturelle Diskriminierung endlich anzugehen, wird seitens der NRW-Regierung gönnerhaft erklärt, mit der Neuregelung „Wünsche[n] der Migranten“ entsprechen zu wollen. Auf welcher Grundlage diese vermeintlichen „Wünsche“ basieren, wird in der Diskussion natürlich wieder einmal sauber ausgespart.