Abkehr von der Normalität

Der Fernsehabend nach der Wahl

Während der gescheiterte Kanzlerkandidat Martin Schulz beim Wahlabend in ARD und ZDF plötzlich im Wahlkampfmodus war, positionierte Alexander Gauland seine AfD in Anti-Stellung. Die Moderatoren suchten nach ihrer Haltung gegenüber der Rechten. Von Christiane Meister

„Ein bemerkenswertes Ergebnis.“ So fasste Anne Will zum Auftakt ihrer ARD-Talkshow die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag zusammen. In der Tat: Mit ihren 33 Prozent erzielte die Union ihr zweitschlechtestes Ergebnis seit 1949, die SPD mit rund 20 sogar ihr schlechtestes. Die FDP zog mit gut 10 Prozent zwar wieder ins Parlament ein, scheiterte aber mit ihrer Vorgabe, drittstärkste Kraft zu werden. Dafür zog die rechte AfD mit 12,6 Prozent nicht nur erstmals in den Bundestag ein, sondern auch an FDP, Linkspartei und Grünen vorbei.

Den AfD-Einzug hatten die Demoskopen bereits vorhergesagt. Aber wie gehen Journalisten mit einer Partei um, deren Spitzenkandidat Alexander Gauland die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, nach Anatolien „entsorgen“ will? Wie leitet man Diskussionen an einem Abend, an dem erstmals seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland eine rechtspopulistische Partei ins Parlament einzieht?

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Gerade erst mussten sich die ARD, ZDF, RTL und Sat.1 für das Kanzlerduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz Kritik gefallen lassen. In der Debatte sei es überproportional stark um Flüchtlingspolitik gegangen. Die verzerrte Gewichtung habe so vor allem der AfD in die Hände gespielt, sagten Beobachter.

Gemeinsame Front gegen AfD

Das ZDF entschied sich am Wahlabend trotzdem für vermeintliche Normalität: Die erste Live-Schalte nach der 18-Uhr-Hochrechnung ging zur AfD-Wahlparty – als sei es eine Veranstaltung von vielen. Dass das alles andere als normal war, zeigte sich erst im Studio. Mit Bettina Schausten diskutierten die Ministerpräsidentinnen Manuela Schwesig (SPD) und Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Obwohl Schwesig erst kurz vorher angekündigt hatte, dass die SPD nach der Wahlniederlage in die Opposition gehen werde, bildeten die Frauen eine gemeinsame Front gegen die Rechtspopulisten.

In der ARD kam es fast zeitgleich zum Schulterschluss aller Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsparteien gegen die AfD. „Wir müssen das Votum der Wähler akzeptieren. Aber wenn es rassistische Töne gibt, werden wir dem in aller Deutlichkeit widersprechen“, sagte SPD-Politiker Thomas Oppermann. AfD-Parteivorsitzender Jörg Meuthen stellte sich gegen die Darstellung, dass es in seiner Partei rechtsradikale Tendenzen gebe: „Wir sind eine bürgerlich konservative Kraft. Der Wahlkampf ist jetzt vorbei.“

Meinungsstarker Einspielfilm

In einem für einen Wahlabend untypisch meinungsstarken Einspielfilm zeigte die ARD jedoch, dass die Entgleisungen der AfD-Mitglieder über Wahlkampfrhetorik hinausgingen und teilweise rassistisch waren. Niemand widerlegte allerdings Meuthens These so sehr wie sein eigener Parteifreund Gauland. „Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen. Und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“, sagte er auf der AfD-Wahlparty.

Die unkonstruktive Haltung Gaulands, die AfD als drittstärkste Kraft im Bundestag, aber auch die Ankündigung der SPD, keine Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen: Der Abend versprach Spannung für die „Elefantenrunde“, die um 20.15 von ARD und ZDF übertragen wurden. Mit Meuthen nahm erstmals ein AfD-Politiker daran teil.

Mühen um Normalität

Die Chefredakteure Peter Frey (ZDF) und Rainald Becker (ARD) mühten sich sichtlich um Normalität. Angestachelt von einem ungewohnt kampfeslustigen Martin Schulz entstand dennoch schnell eine Debatte über die Gründe für das gute Abschneiden der AfD.

„Ich glaube, dass Frau Merkel einen Wahlkampf geführt hat, der skandalös war“, warf Schulz der Kanzlerin vor und machte sie für den Erfolg der Rechtspopulisten verantwortlich. Doch nicht nur Merkel musste Schelte einstecken: Auch die Medien wurden gleich von mehreren Politikern scharf kritisiert. Sie hätten der AfD und ihren Themen zu viel Bühne geboten. Wichtigere – vor allem soziale Themen – seien darüber viel zu kurz gekommen. Am Ende waren so nicht nur die Wahlergebnisse bemerkenswert, sondern auch die TV-Debatten. (epd/mig)