Israelkritik = Judenhass?

Kabinett billigt neue Antisemitismus-Definition

Deutschland schließt sich einer erweiterten Definition von Antisemitismus an. Danach wird pauschale Israelkritik als Judenhass verstanden. Was formell klingt, könnte Konsequenzen in der Bildungs- und Polizeiarbeit haben. Jüdische Organisationen begrüßen den Schritt als wichtiges Signal.

Die Bundesregierung hat die Bedeutung des Kampfes gegen Antisemitismus betont. Das Bundeskabinett stimmte am Mittwoch in Berlin der Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) zu, die in ihrer Erläuterung auch eine pauschale Israelkritik als Judenhass versteht. „Wir Deutschen sind besonders wachsam, wenn Antisemitismus in unserem Land um sich zu greifen droht“, erklärte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Der Kampf gegen Judenhass gehöre zur Staatsräson. Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) sagte, Antisemitismus durchziehe leider noch immer die ganze Gesellschaft und gewinne wieder an Gewicht.

Die Definition der IHRA lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Mit der Annahme der Definition verbindet die Bundesregierung die Empfehlung, dies zur Grundlage in den Bereichen Bildung, Justiz und Polizei zu machen.

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Die Definition soll dabei helfen, Richtern, Staatsanwälten und Polizisten eine Einordnung zu geben, wann etwa eine Tat als antisemitisch einzustufen ist, erläuterte der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für die Beziehungen zu jüdischen Organisationen, Felix Klein, bei einer Fachveranstaltung im Bundesfamilienministerium. Seinen Angaben zufolge ist angestrebt, dass sich bis Ende des Jahres alle OECD-Staaten auf diese Definition verpflichten. Bei der letzten Abstimmung scheiterte dies nach seinen Worten am Nein eines Landes. In Europa haben Barley zufolge bereits Großbritannien und Österreich diese Definition angenommen.

Zentralrat der Juden begrüßt neue Definition

Der Zentralrat der Juden und das American Jewish Committee begrüßten den Kabinettsbeschluss. Beide werteten dies als wichtiges Signal auch in die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und forderten eine schnelle Umsetzung etwa in der Ausbildung in Justiz und Polizei. Das Fehlen einer einheitlichen Definition habe in den letzten Jahren dazu geführt, dass antisemitische Vorfälle allzu oft ignoriert worden seien, sagte die Berliner AJC-Direktorin Deidre Berger.

Im Bundesfamilienministerium diskutierten Experten aus der Bildungsarbeit am Mittwoch, mit welchen Strategien Antisemitismus auch vor dem Hintergrund der Einwanderung aus arabischen Ländern am wirksamsten entgegengewirkt werden kann. Der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Hessen, Meron Mendel, warnte dabei davor, das Problem nur als eines muslimischer Einwanderer und Flüchtlinge zu betrachten.

Ein gesamtgesellschaftliches Problem

Angaben der Bundesregierung zufolge wurden im ersten Halbjahr 2017 insgesamt 681 antisemitische Straftaten registriert. Davon gingen 632 auf das Konto von Rechtsextremisten. Von den ermittelten 339 Tatverdächtige hatten 91 Prozent die deutsche Staatsbürgerschaft.

Mendel ist überzeugt, dass Antisemitismus nach wie vor ein Problem der ganzen Gesellschaft ist. Keine Schicht sei frei davon, sagte er. Er ist Mitherausgeber des Fachbuchs „Fragiler Konsens“, das sich mit Antisemitismus in der Bildung beschäftigt und am Mittwoch im Ministerium vorgestellt wurde. Angesichts des wahrscheinlichen Einzugs der AfD in den Bundestag betonte Mendel, die Arbeit gegen Antisemitismus werde vermutlich wieder wichtiger. Diese Partei vertrete immerhin antisemitische Positionen, indem sie die Debatte über einen Schlussstrich unter die Geschichte des Holocaust wieder entfacht habe. (epd/mig)