Studie

Sicht politischer Eliten prägte Berichte über Flüchtlingsbewegungen

War die nachrichtliche Berichterstattung über die Flüchtlingskrise zu einseitig? Diese Frage stellte eine Studie, die von der Otto Brenner Stiftung in Auftrag gegeben wurde. Das Ergebnis: Medien seien ihrer Aufgabe nicht gerecht geworden.

Große Teile der Journalisten haben während der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 laut einer Studie der Otto Brenner Stiftung ihre Berufsrolle verkannt: „Statt als neutraler Beobachter die Politik und deren Vollzugsorgane kritisch zu begleiten und nachzufragen, übernahm der Informationsjournalismus die Sicht, auch die Losungen der politischen Elite“, teilte Studienleiter Michael Haller am Freitag in Frankfurt mit. Journalisten seien mehr politischer Akteur als neutraler Beobachter gewesen.

„Das Politiker-Gezänk in Berlin“ habe die Medien weit mehr als die Sorgen und Ängste weiter Teile der Bevölkerung interessiert, fasst Haller die Ergebnisse zusammen. „Die Akteure auf der bundespolitischen Ebene kamen in den Zeitungen 15-mal so oft zur Sprache wie alle diejenigen, die direkt, quasi auf Augenhöhe, mit dem Thema zu tun hatten“, fügte Haller in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ am Freitag hinzu. In dieser Konstellation fungierten die Leser nur mehr als Zuschauer. Die Medien hätten zudem zu wenig über die neu ankommenden Menschen berichtet und thematisiert, wie Deutschland damit umgehe, „dass so viele Menschen aus einem anderen Kulturkreis zu uns kommen.“

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Erst nach der Silvesternacht 2015/16 hätten die Medien „die reale Wirklichkeit hinter der wohlklingenden Willkommensrhetorik“ entdeckt, sagte Haller. Bis dahin hätten sich Andersdenkende bereits übergangen oder ausgegrenzt gesehen. Statt integrativ zu wirken, habe der Informationsjournalismus die Frontenbildung verschärft.

Andere Lebenswelt von Journalisten

Die von den Journalisten beschriebene Wirklichkeit sei sehr weit entfernt von der Lebenswelt eines großen Teils ihres Publikums, fügte der emeritierte Journalistikprofessor Haller hinzu. Die Befunde belegen die große Entfremdung, die zwischen dem etablierten Journalismus und Teilen der Bevölkerung entstanden sei. Die Beziehung zwischen einem sehr großen Teil der Erwachsenenbevölkerung und dem Informationsjournalismus sei „schwer gestört“, konstatierte Haller in der Welt.

Für die Untersuchung seien insgesamt weit über 30.000 Medienberichte erfasst und insbesondere für einen Zeitraum von über 20 Wochen rund 1.700 Texte analytisch ausgewertet worden. Grundlage der Studie sind laut Stiftung Berichte, die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der Welt und Bild, mehr als 80 Lokal- und Regionalzeitungen sowie in den Onlinemedien focus.de, tagesschau.de und Spiegel Online erschienen seien.

Journalisten-Union: Studie bildet Hälfte der Medien ab

Cornelia Haß, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), äußerte sich kritisch zu den Ergebnissen. Weil die Studie nur die Hälfte der Medienlandschaft abbilde und die öffentlich-rechtliche wie private Medienlandschaft außer Acht lasse, sei sie nicht repräsentativ. „Für die doch sehr zugespitzten Ergebnisse hat man einen kleinen Ausschnitt untersucht“, sagte Haß dem Evangelischen Pressedienst. Als problematisch erachtet Haß zudem, dass ausschließlich die nachrichtlich aufbereiteten Berichte Eingang gefunden hätten in die Untersuchung: „Kommentare und Leitartikel gehören aber zur Berichterstattung und zur Charakterisierung der Medien dazu.“

Weil vorab bereits über Ergebnisse der Studie berichtet wurde, habe man sich entschieden, die Veröffentlichung vorzuziehen, sagte Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung, dem epd. Ursprünglich sollte die Untersuchung am Montag vorgestellt werden. Am Montag sollen zudem methodische Erläuterungen der Studie folgen. (epd/mig)