Medizinische Hilfe im Verborgenen

Menschen ohne Papiere sind im Krankheitsfall aufgeschmissen

Für öffentliche Stellen gilt eine Meldepflicht für Menschen ohne Papiere. Denen droht dann womöglich die Abschiebung. Benötigen „Illegale“ medizinische Hilfe, sind sie auf die Unterstützung von Vereinen angewiesen – ein fragwürdiges System. Von Dirk Baas

Es klingt wie eine putzige Anekdote aus dem medizinischen Beratungsalltag, doch dahinter steckt ein ernstes Problem: James Jacobsen und seine Mitstreiter in der „Malteser Migranten Medizin“ in Frankfurt am Main legen für jeden behandelten Flüchtling ohne Papiere eine Karteikarte an. Wie früher. Die Mediziner halten so auch die Krankengeschichte handschriftlich fest. Was antiquiert klingt, macht Sinn: „Karteikarten kann man nicht hacken“, sagt Jacobsen. Die persönlichen Daten der Patienten dürfen den Ausländerbehörden unter keinen Umständen bekanntwerden.

Experten sehen ein dauerhaftes Spannungsfeld zwischen den Vorgaben des Aufenthaltsgesetzes, das abgelehnte Asylbewerber zur Ausreise zwingt, und ihrem Anspruch auf ärztliche Behandlung: „Es geht nicht um Barmherzigkeit, sondern diese Menschen haben Rechte“, sagt Carsten Hörich, Migrationsrechtler von der Universität Halle-Wittenberg.

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Viele meiden Krankenhäuser

Viele Betroffene meiden wegen der Meldepflicht staatliche Krankenhäuser. Denn alle öffentlichen Stellen, also auch Kliniken, müssen laut Aufenthaltsgesetz „unverzüglich“ erlangte Informationen über illegale Migranten an die Ausländerbehörde weitergeben.

Die Bundesärztekammer schätzt die Zahl der Menschen ohne Aufenthaltsstatus hierzulande auf 200.000 bis 600.000: „Sie sind Teil der gesellschaftlichen Realität.“ Ihnen nehmen sich bundesweit Vereine an. In ihnen schließen Ehrenamtler jene Lücke im sozialen Netz, die der Staat in Kauf nimmt.

Behandlung in einer rechtlichen Grauzone

Die „Malteser Migranten Medizin“ unterhält laut Jacobsen insgesamt 18 Standorte, an denen Beratung und erste Untersuchungen stattfinden. Sie vermitteln die „Illegalen“ an ausgesuchte Krankenhäuser weiter – natürlich streng anonym. 13.000 Flüchtlinge kämen so jährlich zu einer Behandlung. Diese Arbeit geschieht in einer rechtlichen Grauzone, aber: „Es gibt eine nicht verschriftlichte Absprache mit den Frankfurter Behörden, dass wir unbehelligt arbeiten können.“

Die Flüchtlinge kommen in die wöchentlichen Beratungsstunden im Markus-Krankenhaus. Von dort werden die Kranken an kooperierende Spezialisten weitervermittelt – vier Kliniken übernehmen kostenfreie Operationen.

Behandlung auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes

Niedersachsen testet in einem Modellversuch den sogenannten Anonymen Krankenschein, der eine reguläre Abrechnung ermöglicht. „Wir bewegen uns in einem eingeengten Feld, doch das Projekt funktioniert gut“, sagt Lisa Palm, Geschäftsführerin des Trägervereins „Gesundheitsversorgung für Papierlose“ in Hannover. Der Verein betreibt zwei Vergabestellen, in denen Flüchtlinge Anonyme Krankenscheine erhalten können. 500.000 Euro zahlt das Sozialministerium dafür pro Jahr für Personal- und Behandlungskosten.

Problem hier: Nur wer keinen Aufenthaltstitel hat und mittellos ist, hat Zugang zum Projekt. Und die Behandlung erfolgt nur auf der Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes. Damit sind Therapien für sämtliche chronischen Erkrankungen und zum Beispiel auch Psychotherapien ausgeschlossen.

Anonyme Krankenscheine

Thüringen setzt ebenfalls auf den Anonymen Krankenschein und zahlt für dieses Jahr 230.000 Euro für ein Modellprojekt zum Aufbau einer medizinischen Versorgungs- und Vermittlungsstelle für Menschen ohne Papiere. Träger ist auch hier ein Verein, der in Jena sitzt.

Arzt Jacobsen lobt die Idee des Anonymen Krankenscheins. Diese Form der Abrechnung medizinischer Leistungen wäre an sich ein Fortschritt für Hessen. Aber, so gibt der Fachmann zu bedenken: „Wenn nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz möglich sind, wäre das im Vergleich zu heute ein klarer Nachteil.“

Spendenfinanzierte Hilfe

In Mainz kümmert sich seit dem Jahr 2006 der Verein „Medinetz“ spendenfinanziert um die illegal in Deutschland Lebenden. Der Verein versucht, die vermittelten Behandlungen kostenlos, zum einfachen Abrechnungssatz zu bekommen oder sie vom Sozialamt tragen zu lassen. Im Jahr 2015 gelang das in rund 125 Fällen.

„Viele Menschen unterstützen uns auf diese Weise. Dass wir mit unseren Spendengeldern etwa bei Operationen einspringen, ist der letzte Schritt“, sagt Stella Loock dem Evangelischen Pressedienst. Auch in Mainz beobachten die Aktiven ein wohlwollendes Verhalten der städtischen Behörden. Sie begrüßten das Engagement des Vereins stillschweigend, „weil sie sich dadurch selbst nicht um das Problem kümmern müssen“, heißt es auf der Homepage. (epd/mig)