Afghanen

Flüchtlinge zweiter Klasse

Geflüchtete aus Syrien, Irak, Eritrea, Somalia oder dem Iran haben vergleichsweise gute Chancen auf Asyl in Deutschland. Afghanen hingegen sind Flüchtlinge zweiter Klasse, gefangen in einem Netz voller Fallstricke. Von Anja Seuthe

Es ist Frühling! Die Tage werden länger und wärmer. Die Natur erwacht. Der Frühling ist die Zeit im Jahr, in der neues Leben entsteht, in der wir hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Diese Hoffnung teilen wir mit Menschen, die im Verlauf der letzten zwei Jahre nach Deutschland gekommen sind. Menschen, die aus der Hoffnungslosigkeit ihrer kriegs- und terrorgebeutelten Heimat in unser friedliches, freies Deutschland geflohen sind. Deutschland, das Hoffnung versprach, die nun im Netz der Bürokratie gefangen bleibt. Ein Netz voller Fallstricke.

Denn nicht jeder Geflüchtete kommt aus einem der glücklichen fünf Herkunftsländer mit der sogenannten „guten Bleibeperspektive“. Syrien, Irak, Eritrea, Somalia und der Iran.  Nicht jeder Geflüchtete hat ein zerbombtes Haus und tote Familienmitglieder hinter sich gelassen. Nicht jeder Geflüchtete wurde gefoltert oder zwangsrekrutiert.

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Polizei, Fingerabdrücke, Schläge, Auffanglager

Hoffnungslosigkeit geht aber auch anders. Hamid (Name geändert), 17 Jahre alt,  kommt aus dem Iran. Aber seine Eltern sind Afghanen, gehören zur schiitischen Minderheit der Hazara. Vor zwanzig Jahren mussten sie in Afghanistan um ihr Leben fürchten, flohen in den Iran. Bis heute haben sie dort keinen aufenthaltsrechtlichen Status, leben in der Illegalität. Hamid wurde im Iran geboren, ist dort aufgewachsen, aber im Iran sind die Afghanen  Menschen zweiter Klasse. Hamid hat keine Schule von Innen gesehen. Gelegenheitsjobs helfen, die Familie über Wasser zu halten, in ständiger Angst vor der Polizei, die im besten Fall bestechlich ist und vom mageren Lohn einen Anteil abzweigt, im schlechten Fall abschiebt nach Afghanistan, ein Land, von dem Hamid nicht mehr kennt, als die Angst seiner Eltern.

Angst, die ihn auch im Iran nicht loslässt. Die ihn letztendlich hinaustreibt auf den großen Treck ins gelobte Land. Angst, die Wegbegleiter wird, als Hamid auf der kalten Straße schläft, als er sich Essen aus dem Müll sucht, als das kleine Schlauchboot im Mittelmeer zu kentern droht – Hamid ist Nichtschwimmer. Und auch an den Grenzen in Europa reist sie mit, die Angst. Polizei, Fingerabdrücke, Schläge, Auffanglager. Die Angst, es nicht zu schaffen. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Ohne Sinn und Regel

Endlich in Deutschland schnürt ihm die Angst die Kehle zu. Er versteht nicht, was um ihn herum passiert. Befragungen mit und ohne Dolmetscher, Ärzte, neue Auffanglager, neue Betreuer, neue Befragungen. Hamid versteht den Sinn nicht, den Ablauf nicht, die Sprache nicht. Versteht nicht, warum er einen Amtsvormund braucht. Warum er nicht einfach arbeiten kann. Warum er – der noch nie in der Schule war – auf einmal schulpflichtig ist. Und warum die deutsche Sprache so unendlich schwer ist. Mit „der“, „die“ und „das“, für die es keine Regeln gibt. Mit Dativ und Akkusativ, mit trennbaren Verben und zusammengesetzten Nomen.

Er lernt, dass er als Minderjähriger in Deutschland nicht rauchen darf. Dass er um 22:00 Uhr in seinem Zimmer sein muss. Und dass die Betreuer sich insbesondere für die Einhaltung des Putzplans interessieren. Aus Tagen werden Wochen, aus Wochen werden Monate. Langsam setzt ein Alltag ein, über dem das drohende Damoklesschwert „Asylverfahren“ schwebt. Alle hoffnungsvollen WENNS – „Wenn du gut deutsch kannst!“, „Wenn du einen Schulabschluss hast, einen Job, eine eigene Wohnung!“, „Wenn du dich gut integrierst!“. Alle diese WENNS werden überschattet von dem einen, großen, unwägbaren WENN: „Wenn du bleiben darfst!“

Warten auf die einzige Chance

Er lernt, dass alles in Deutschland Zeit braucht. Zeit, die er mit Hoffnung totschlägt. Mit dem Versuch, sich als Hoffnungsträger zu präsentieren. Hamid lernt, und lernt, und lernt. Und während die Syrer, Somalier, ja selbst dir Iraner, ihren positiven Asylbescheid bekommen, versteht er, dass er als Afghane in Deutschland nicht nur Mensch zweiter Klasse ist, sondern auch noch Flüchtling zweiter Klasse.

Hamid wartet auf seinen achtzehnten Geburtstag und die unweigerlich folgende Einladung zum alles entscheidenden „Interview“. Der einzigen Chance, seine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die nicht wirklich interessiert. Laut deutschen Gerichten kann ein junger Afghane, der noch nie in Afghanistan war, mangels eigener Erfahrung auch nicht glaubhaft machen, dass er dort verfolgt wird oder gefährdet ist. Afghanistan nimmt Flüchtlinge zurück. Auch die, die noch nie zuvor einen Fuß nach Afghanistan gesetzt haben. Und lässt sich das gut bezahlen. „Verkauft haben sie uns!“, sagt mir Hamid. Mit jedem negativen Asylbescheid in seinem Umfeld stirbt die Hoffnung ein wenig. Laut deutschen Gerichten hat ein junger Afghane auch ohne lokales Netzwerk gute Chancen, in Kabul zu überleben.

Aber Hamid will nicht nur überleben, er will leben!