Warnung vor Domino-Effekt

Amnesty sieht Angriff auf Menschenrechte auch in Demokratien

Eine Politik der Ausgrenzung, des „Wir gegen die anderen“, hat sich nach Recherchen von Amnesty International breitgemacht. Das unterhöhle das Gleichheitsprinzip und bedrohe weltweit die Menschenrechte.

Systematische Menschenrechtsverletzungen in den USA, Angriffe auf Umweltaktivisten in Lateinamerika, Verfolgung von Minderheiten in Myanmar: Weltweit werden nach Recherchen von Amnesty International die Menschenrechte untergraben, auch in Demokratien. 2016 sei das Jahr des „Wir gegen die anderen“ gewesen, in dem in vielen Ländern Gruppen als Bedrohung für das nationale Interesse ins Visier genommen worden seien, erklärte die Menschenrechtsorganisation in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht. Auch in der EU gebe es beunruhigende Entwicklungen.

„Viele Regierungen und politische Gruppierungen erklären Kritiker pauschal zu Feinden, denen Rechte abgesprochen werden dürfen“, sagte der Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, Markus N. Beeko. „Sie versuchen, das Grundprinzip, dass jeder Mensch die gleichen Rechte besitzt, auszuhöhlen – dabei gehört dieses Prinzip zu den grundlegenden Errungenschaften seit Ende des Zweiten Weltkriegs.“

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Menschenrechtsverletzungen rund um den Globus

Diese Politik der Ausgrenzung sei 2016 in allen Weltregionen dokumentiert worden, erklärte Amnesty. Als Beispiele führen die Menschenrechtler Dekrete in den USA auf, die Menschen ihrer Rechte beraubten, ebenso staatliche Einschüchterungen von Menschenrechtsaktivisten in China. Auch die Anti-Drogen-Kampagne des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte mit bislang 7.000 Toten gehöre dazu.

Bedroht würden weltweit auch Menschenrechts- und Umweltaktivisten wie in Honduras, wo zwischen Juli 2015 und Januar 2016 insgesamt 36 Angriffe von staatlichen Stellen auf Aktivisten gezählt wurden. In anderen Ländern wie Indien gingen die Behörden massiv gegen ethnische Minderheiten wie die Adivasi vor, um deren Land wirtschaftlich auszubeuten. In mindesten 22 Ländern weltweit seien im vergangenen Jahr Menschen ermordet worden, nur weil sie sich friedlich für ihre Rechte und die anderer eingesetzt hätten.

Aushöhlung von Menschenrechten in der EU

Aber auch in den EU-Staaten würden Menschenrechtsstandards ausgehöhlt, betonte Amnesty. Mit der zunehmenden Abschottung Europas, eingeschränkten Freiheitsrechten und Flüchtlingsabkommen mit Problem-Staaten wie Libyen gerate „das Asylrecht unter die Räder“, beklagte Beeko. „Durch die geplante Zusammenarbeit mit Libyen nimmt die EU schwere Menschenrechtsverletzungen in Kauf. Flüchtlinge und Migranten werden dort in Haftzentren gebracht, wo sie oft ohne Kontakt zur Außenwelt und unter unwürdigen Bedingungen festgehalten werden.“

Falsch sei auch die zunehmende Abschiebung von Asylbewerbern nach Afghanistan, das alles andere als ein sicheres Land sei. Mindestens 36 Staaten hätten 2016 internationales Recht verletzt, indem sie Schutzsuchende in Länder zurückschickten, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Dazu kämen neue Gesetze mit diskriminierendem Charakter in EU-Staaten wie das polnische Antiterror-Gesetz, das sich vor allen gegen nichtpolnische Staatsangehörige richtet, oder die Möglichkeiten zur anlasslosen Massenüberwachung.

Weltweite Erosion von Menschenrechten

Einhergehe die weltweite Erosion menschenrechtlicher Standards mit der Schwächung internationaler Institutionen wie der Vereinten Nationen oder des Internationalen Strafgerichtshofs. Vor Kriegsverbrechen wie in Syrien verschließe die Weltgemeinschaft die Augen.

„Für eine globalisierte Welt sind globale Menschenrechtsstandards eine wesentliche Grundlage für Frieden und Sicherheit“, betonte Beeko. „Wenn mehr und mehr Staaten den politischen Willen vermissen lassen, die Menschenrechte zu stärken, dann droht ein Domino-Effekt.“ (epd/mig)