Ein Marshall-Plan für Afrika?

Angst vor Flüchtlingen facht Debatte über Entwicklungshilfe an

Mehr Entwicklungshilfe soll laut Bundesregierung dazu beitragen, dass weniger Menschen nach Europa fliehen. Sie fordert einen Marshall-Plan für Afrika, den ärmsten Kontinent – und hat damit eine hitzige Debatte losgetreten.

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller denkt gerne in großen Dimensionen. „Nach unseren Informationen warten allein in Libyen 100.000 bis 200.000 Afrikaner, die aus Staaten südlich der Sahara kommen, auf ihre Überfahrt nach Europa“, erklärte der CSU-Politiker im April. Bestätigt wurde die Zahl nie. Eine Lösung präsentierte Müller dennoch: Einen Marshall-Plan für Afrika, in Anlehnung an das US-amerikanische Programm, das Westeuropa nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufbaute. Milliardenbeträge flossen damals, jetzt sollen sie wieder fließen. Müllers Kritiker sind entsetzt.

„Bloß keinen Marshall-Plan für Afrika“ lautet die Überschrift eines Memorandums, das Entwicklungshilfekritiker Ende November in Köln beschlossen haben. Dass der Westen Entwicklungspolitik für Afrika machen könne, sei ein „mehr als 50 Jahre alter Irrtum“, heißt es darin. „Zu glauben, wenn wir das nach Afrika überwiesene Geld erhöhen, dann blieben die Flüchtlinge dort, das ist doch ein Mumpitz erster Güte“, wettert Kurt Gerhardt, einer der Mitinitianten des Papiers. „Das weiß doch jeder, der die Praxis der Entwicklungshilfe kennt.“ Dass er dazu gehört, daran lässt Gerhardt keinen Zweifel.

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In den 80er Jahren hat der Rundfunkjournalist für den Deutschen Entwicklungsdienst in Niger gearbeitet, war nach eigenen Angaben aber schnell desillusioniert. 2008 verfasste Gerhardt mit Anderen den „Bonner Aufruf“, der ein Ende der klassischen Entwicklungshilfe fordert. Investitionen in Bildung seien sinnvoll, sagt Gerhardt heute. „Und danach muss aber auch Schluss sein. Man muss gebildeten Leuten sagen, ihr habt die geistige und körperliche Voraussetzung, um euch zu entwickeln, wenn Ihr es wollt. Wenn Ihr es nicht wollt, müsst ihr es bleiben lassen. Aber wir können und werden es für Euch nicht tun.“

Gerhardt: Entwicklung führt zur Lähmung von Eigeninitiative

Mehr Hilfe führt nach Gerhardt nicht zu mehr Entwicklung, sondern zur Lähmung von Eigeninitiative. Dass Afrika bis heute keine nennenswerte Industrie hat, führt Gerhardt auch darauf zurück. Ohne Industrie aber sei der in Afrikas Entwicklung dringend nötige Sprung kaum zu schaffen, glaubt auch der Mainzer Afrikaforscher Helmut Asche. Der kürzlich emeritierte Professor unterstützt Deutschlands Wirtschaft in der Forderung nach Unterstützung für ihr Afrika-Engagement. „Warum ist uns eine direkte Förderung von deutschen Firmen, die sagen, zusammen mit meinem afrikanischen Partner schaffe ich dort soundso viele Arbeitsplätze, nicht die gleiche Förderung wert wie das traditionelle Entwicklungsprojekt?“

Asche verweist dabei auf Asien, wo Industrieparks und Sonderwirtschaftszonen den wirtschaftlichen Aufstieg beförderten. Im Zusammenspiel von öffentlicher Hand und Privatwirtschaft könne man sicherstellen, dass ausreichend qualifizierte Jobs entstünden. Dass dadurch allerdings weniger Afrikaner die Flucht nach Europa antreten, glaubt Asche nicht. „Es ist vollkommen richtig, dass sich erst mal mehr auf den Weg machen würden. Deswegen macht auch eine Migrationspartnerschaft keinen Sinn, die die Migration auf Null setzen soll.“ Gebraucht werde vielmehr eine aktive Einwanderungspolitik, gerade für qualifizierte Afrikaner.

Silva: Entwicklungshilfe ist gut angelegt

Mit Sorge betrachtet hingegen Maria Luisa Silva die jüngste Debatte über die Begrenzung der Entwicklungshilfe. Silva leitet das Genfer Büro des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, dem größten Entwicklungshilfeträger weltweit. „Gerade die Ärmsten der Armen sind auf staatliche Entwicklungshilfe angewiesen“, sagt Silva. Die acht Milliarden Euro etwa, die Deutschland im kommenden Jahr in die Entwicklungshilfe investiert, seien gut angelegt. „Entwicklung, das heißt heute: soziale, aber auch wirtschaftliche und nachhaltige Entwicklung – wir machen keine Entwicklungshilfe wie in den 1950er Jahren, die Welt ist komplexer geworden.“

Doch der gewählte US-Präsident Donald Trump hat im Wahlkampf angekündigt, sich um die Armen in der Welt nicht mehr kümmern zu wollen. Und er ist nicht der einzige. „Ich hoffe wirklich, dass wir diese neuen Politiker davon überzeugen können, dass Entwicklungshilfe nicht nur gut für andere, sondern auch für die Geber selbst ist“, sagt Silva. Langfristig gebe es so mehr Handel, weniger Migration, weniger Nothilfebedarf. Müller hofft auch auf kurzfristige Erfolge. Ob die Entwicklungshilfe solche aber liefern kann, bezweifeln selbst ihre Unterstützer. (epd/mig)