Die Özoğuz-Debatte

Unionspolitiker sollten vor der eigenen Haustür kehren

Ja, die Äußerungen von Staatsministerin Özoğuz zum Verbot von „Die wahre Religion“ kann man mit guten Gründen kritisieren. Wenn sich Unionspolitiker jetzt aber öffentlich mit Unverständnis und Fassungslosigkeit überbieten, ist das eine Entrüstung, die erst vor wenigen Tagen wohl gerade nicht griffbereit lag. Von Murat Kayman

Die aktuellen Diskussionen um die Äußerungen der Integrationsbeauftragten, Staatsministerin Özoğuz, zeigen einmal mehr, wie unheilvoll die Zwänge eines brisanten Wahlkalenders gepaart mit der von populistischen Narrativen durchzogenen öffentlichen Debatte um und über den Islam auf die Urteilsfähigkeit aller Beteiligten einwirken.

Das Bundesministerium des Inneren (BMI) hat eine Vereinigung verboten, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Im Rahmen der Verbotsverfügung hat das BMI deutlich gemacht, dass sich die vereinsrechtliche Maßnahme nicht gegen die Religionsfreiheit, nicht gegen die Religion des Islam, nicht gegen Muslime aufgrund ihres Glaubens und auch nicht gegen das Verteilen des Korans richtet. Alldem gewährt der Staat weiterhin den Schutz des Gesetzes. Er geht aber gegen Organisationen und Personen vor, die Gewalt legitimieren, zur Gewalt aufrufen und Menschen dazu ermutigen, Gewalt anzuwenden.

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Das ist weder ein verdachtsunabhängiges, noch ein willkürliches oder ein voreiliges Vorgehen der zuständigen Behörden. Die lange Prüfung und Vorbereitung dieser Maßnahme und die Anwendung vereinsrechtlicher und vorerst nicht strafrechtlicher Maßnahmen macht deutlich, dass hier im Rahmen der rechtsstaatlich gebotenen Verhältnismäßigkeit vorgegangen wurde.

Özoğuz kann man kritisieren

All diese Informationen lagen der Staatsministerin Özoğuz vor. Vor diesem Hintergrund sind ihre Äußerungen zu kritisieren, wenn sie sagt: „Da hat man den Eindruck von Willkür, da werden natürlich schnell auch Verschwörungstheorien wach, was man eigentlich als Staat gegen diese Menschen macht.“

Sie legt damit für rechtsunkundige Leser zumindest nahe, dass in diesem Fall willkürlich gehandelt worden sein könnte. Das ist angesichts der tatsächlichen Verhältnisse falsch und dazu geeignet im öffentlichen Bewusstsein das Vertrauen in den Rechtsstaat tatsächlich zu untergraben. Es handelt sich eben nicht um eine verdachtsunabhängige Moscheekontrolle, wie sie unter erheblicher Missachtung des Rechtsstaates in Niedersachsen zeitweise – gegen Muslime, nur weil sie Muslime sind – praktiziert wurde. Diesen Unterschied hätte eine Integrationsbeauftragte erkennen können und müssen – und auch der Öffentlichkeit kommunizieren sollen.

Die Mahnung zu mehr Augenmaß ist in diesem Zusammenhang deshalb deplatziert und wirkt auch inkonsistent, wenn mit ihr gleichzeitig die Aufforderung verknüpft wird, die Prävention gegen extremistische Bestrebungen könne nur mit Muslimen gemeinsam erfolgreich sein.

Selbstdemontage politischer Akteure

Erst kürzlich war es der NRW-Innenminister, also ein Parteigenosse der Staatsministerin Özoğuz, der einer islamischen Religionsgemeinschaft, nämlich dem DITIB Landesverband NRW, öffentlich fehlende Neutralität und Distanz vorwarf und auf Beendigung der Zusammenarbeit im Bereich der Extremismus-Prävention drängte. Die einzige islamische Religionsgemeinschaft, die sich aktiv als Träger eines Präventionsprogrammes bei der Beratung von radikalisierungsgeneigten Jugendlichen engagiert hat, wurde aus der Präventionsarbeit gedrängt und öffentlich in die Nähe zum Extremismus gerückt. Und zwar deswegen, weil sie sich dafür eingesetzt hat, aktiv und öffentlich die Deutungshoheit über religiöse Begriffe zu besetzen und sie nicht durch Ignoranz den Extremisten zu überlassen. Eine Mahnung der Integrationsbeauftragten zu mehr Augenmaß und ein Appell zu mehr Zusammenarbeit im Bereich der Prävention wäre bei diesem Sachverhalt mehr als notwendig gewesen. Gehört hat man nichts.

Gleichwohl ist die massive Kritik an den Äußerungen der Staatsministerin Özoğuz in Inhalt und Ton exemplarisch für die parteipolitische Bigotterie und zunehmende qualitative Selbstdemontage politischer Akteure.

Da sagt der CDU-Generalsekretär Peter Tauber: „Gegen Islamisten ist kein Augenmaß gefragt, sondern die volle Härte des Gesetzes.“

Ein solcher Satz ist natürlich grober Unfug, den man zwar in fiktionalen Gerichtssendungen erwarten darf, aber hofft, nicht von einem CDU-Generalsekretär zu hören, selbst wenn dieser nur Geschichte und nicht das Recht studiert hat. Es gehört zu den Grundprinzipien eines Rechtsstaates, dass jede Tat unter Würdigung der konkreten Tatumstände dieses Einzelfalls geprüft und der Täter seiner konkreten Tat und seiner persönlichen Schuld angemessen bestraft wird. Und zwar nicht mit voller Härte, sondern den Umständen seiner konkreten Tat und der Schwere seiner persönlichen Schuld entsprechend, also verhältnismäßig. Verhältnismäßigkeit – mit anderen Worten: Augenmaß – ist also eine Säule unseres Rechtsstaates und ein Grundprinzip der Rechtsanwendung.

Islamist zu sein, also eine bestimmte Gesinnung zu haben, erfüllt in unserer Rechtsordnung keinen Straftatbestand. Nicht alles, was wir als abwegig, sonderbar, abstoßend oder unsinnig empfinden, ist als Tatbestandsmerkmal einer Strafnorm zu behandeln. Jede gegensätzliche Äußerung höhlt schrittweise unsere Rechtsordnung und unser Grundrechtsverständnis aus.

Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat sich zu Wort gemeldet. Er wirft Özoğuz vor: „Auch nur anzudeuten, dass Sicherheitsbehörden hier willkürlich vorgegangen sein könnten, schürt massives Misstrauen gegen unsere Sicherheitsorgane“.

Sorge um das Vertrauen in unsere Sicherheitsorgane

Um das Vertrauen in unsere Sicherheitsorgane zu erschüttern, braucht es keine unbedachten Äußerungen einer Integrationsbeauftragten. Wenn die Sorge des bayerischen Innenministers um das Vertrauen in unsere Sicherheitsorgane nicht nur vorgeschobene Entrüstungsfassade in der parteipolitischen Auseinandersetzung, sondern wirklich ernst gemeint ist, dann sollte er dieser Sorge unmissverständlich und öffentlich nachgehen. Von seinem Amtssitz zum Oberlandesgericht München sind es zu Fuß keine 20 Minuten. Am OLG München wird der sogenannte „NSU-Prozess“ verhandelt. Nichts ist so sehr geeignet, das Vertrauen der Bürger in unsere Sicherheitsorgane massiv zu zerrütten, wie die unzähligen „Pannen“, Ungereimtheiten und wie Verdunkelungshandlungen wirkenden Missstände im NSU-Komplex.

Das Misstrauen, Sicherheitsorgane könnten während repressiver Maßnahmen gegen mutmaßliche Extremisten willkürlich Moscheen betreten, ist nichts im Vergleich zu dem Misstrauen, Sicherheitsorgane könnten mit V-Mann-Einsätzen im Umfeld extremistischer Gruppierungen diesen bei Straftaten untätig zuschauen oder solche gar fördern.

Ein Extremist aus dem salafistischen Spektrum mag – Allah bewahre – Bomben zünden und Menschen umbringen. Unsere Gesellschaft ist stark genug, gemeinsam und geschlossen auch so eine Tragödie – von der wir alle hoffen, sie möge nie Wirklichkeit werden – zu überwinden.

Aber der unaufgeklärte NSU-Komplex legt Dynamit an die Grundfesten unseres Rechtsstaates und die Gefahr, die von ihm ausgeht, wird nicht kleiner sondern größer, wenn die Details dieses Skandals nicht vollständig aufgeklärt werden.

An dieser Stelle kann die parteipolitische Empörung eigentlich nicht groß genug sein, wenn uns die Werte- und Rechtsordnung in unserem Land tatsächlich am Herzen liegt. Nur, aus parteipolitischen Kreisen ist bei diesem Thema nicht viel zu hören.

Unionspolitiker empören sich nicht über Unionspolitiker

Stattdessen überbieten sich Unionspolitiker von Bosbach, über Giousouf bis Hasselfeldt – fast schon eine Spur zu schrill – öffentlich in Unverständnis und Fassungslosigkeit ob der skandalösen Äußerungen der Staatsministerin Özoğuz.

Das ist eine Entrüstung, die erst vor wenigen Tagen wohl gerade nicht griffbereit lag. Da sprach der designierte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) über chinesische „Schlitzohren und Schlitzaugen“: „Alle: Anzug, Einreiher dunkelblau, alle Haare von links nach rechts mit schwarzer Schuhcreme gekämmt.“

Eben jener Oettinger, der Hans Filbinger, dem NS-Marinerichter und einem seiner Amtsvorgänger als baden-württembergischer Ministerpräsident, in einer Trauerrede bescheinigt hatte, kein Nazi gewesen zu sein (s. Filbinger-Affäre).

Oder als Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) beim Deutschlandkongress der Union Anfang November über seine Ansichten zum Leben in Afrika referierte: „Wenn ein afrikanischer Mann 100 Dollar verdient, Preisfrage: Was bringt der nach Hause? 30 Dollar. Und du weißt sicher, was er mit dem Rest macht (lacht): nämlich Alkohol, Suff, Drogen, Frauen natürlich.“

Es ist dieser schmierige Rassismus, für den Politiker immer noch Applaus ernten, wenn sie ihn in geschlossener Gesellschaft als gelungene Pointe zelebrieren. Dieser Rassismus der sich strukturell und institutionell in den Köpfen einnistet und letztlich bis hin zum behördlichen Handeln, wie im Fall der NSU-Morde, verkrustet. Diesen fatalen Zusammenhang sollten Politiker erkennen und ernst nehmen. Sie sollten ihn öffentlich ansprechen und sich auch öffentlich entrüsten, wenn er in der eigenen Partei sichtbar wird. Denn die für Augenmaß-Verirrungen reservierte Empörung wirkt heuchlerisch und unglaubwürdig, wenn für rassistische Entgleisungen in den eigenen Reihen gänzlich die Sehkraft fehlt.