Theater

Du-darfst-nicht-sagen-dass

“Denial” – Yael Ronen inszeniert am Berliner Maxim Gorki Theater eine monothematische Illustrierte. „Mir geht es gut. Meiner Familie geht es gut. Der Welt geht es gut.“ Von Jamal Thushick

Im Alltag decken Shaydem und Marian ihre Beziehung ab, um die religiösen Gefühle der Nachbarn nicht zu verletzen. Das Paar mit Kind covert sich als beste Freundinnen und heterosexuelle Solistinnen, in den Spielarten alleinerziehende Mutter und hilfsbereite Wohngemeinschaftsgenossin der zweiten Einwanderungsgeneration. Die autochthone Kultur der Berliner, kurz gefasst Bier, Buletten, Bockwurst und Gottesdienstpflicht an allen Werktagen verspricht Shaydem und Marian keine Akzeptanz ihrer Andersartigkeit.

Ein gemeinsamer Besuch in Shaydems erster Heimat erlebt das Paar als Befreiung. Die grundsätzlich bis zur Gleichgültigkeit toleranten, der Losung Mariage pour tous linkslässig verpflichteten Türken lassen das Paar aus allen Wolken der Verstellung fallen. In “Denial” erzählt Regisseurin Yael Ronen diese Geschichte etwas anders, die Planung einer gemeinsamen Türkeireise schickt Shaydem auf einen Horrortrip negativer Anpassung und vorsorglicher Sprachregelungen. Du-darfst-nicht-sagen-dass – Marian kapiert nicht, was sozialverträglich in der anderen Kultur bedeutet. Warum so viel Du-musst-so-tun-als-ob?

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Shaydem versucht es mit Shock & Awe. Die Landung in Antalya schildert sie als Massengrab des Familienlebens. Eine Stampede zerreisse alle Bande. Eine verwandelnde Kraft bemächtige sich der von üblen Schlangenzüchtern ihren Reptilien einverleibten Passagiere. Man käme als Fremde und führe wie zwangsverheiratet mit einer neuen Familie in den blutenden Sonnenuntergang. Shaydem erinnert an den avantgardistischen Familienbegriff türkischer Polizisten, Marians Bekennerstolz stimmt sich herab.

Çigdem Teke und Maryam Zaree spielen Shaydem und Marian. Sie erscheinen wie aus einem Katalog geschnitten. Das Paar schwebt in Abeyance, es führt ein Leben als Entwurf und in Verweigerung dieser Einsicht.

“Denial” ist ein Episodenstück über Verdrängung. Eine aufreizende Behauptung lautet, man habe Abstand genommen von der handwerklichen Herstellung einer Bühnenfiktion, um endlich politisch zu werden im mit sich Aufzuräumen. Erfährt Maryam Zaree als Marian, in einem iranischen Gefängnis zur Welt gekommen zu sein, kursiert das als autobiografische Mitteilung der in Teheran Geborenen.

Info: Termine, Karten und weitere Informationen zum Stück gibt es im Internet auf gorki.de

Filmische Vergrößerungen entziehen die Spieler dem Schutz eines tief gestaffelten Lamellenvorhangs. Ein Bauch spricht, jemand tritt künstlich dick als dickes Kind auf. Eine Frau beschreibt die Gewaltausbrüche ihres Mannes in seine Einreden hinein. Der Mann erkennt auf Pseudologia phantastica. Er stellt sich als gescheiterter Helfer einer zwanghaft manipulativen Persönlichkeit vor das Publikum. Die Inszenierung suggeriert Aufrichtigkeit auf beiden Seiten. Das grenzt an Gehirnwäsche und wird im Hinblick auf das Irritationspotential nur noch von einem Tears Cumshot überboten.

Dimitrij Schaad faszikuliert sexuellen Missbrauch in der Kindheit. Eine jede Annahme verweigernde Mutter ignoriert frivol den Wunsch des Sohnes, sagen zu dürfen, was bei ihm sexuell stimmt. Oscar Olivo zerschellt in der Offenbarungsszene an einer Krawallschachtel. Die Sache rummst haarscharf am Sketch vorbei.

Dorit hat einen israelischen Pistolenpapa, der solange für die Tochter unter den Besten Bond war, bis ihn Demenz heimholte in den Schoss verspäteter Wahrheitsliebe. Die Tochter verschmilzt Ablehnung mit Bewunderung zu einem Werkstück der Sinnlosigkeit. Was sie jetzt denken kann, ist unbrauchbar. Was sie vorher gedacht hat, war falsch.

Die Israelin Orit Nahmias spielt Dorit. Das gibt der Szene den intransitiven Thrill einer Etymologischen Figur. Man hungert Hunger und weiß nicht mehr und weiß nicht weiter. Der Zuschauer beobachtet die produktiven Prozesse der Verdrängung. Er erkennt: das Problem erschöpft sich in der belvederen Leere des Durchblicks.