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Empathie mit Flüchtlingen hat uns geschadet

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung beklagt einen Verlust an demokratischer Streitkultur; Bild-Online Chefredakteur widerspricht der Behauptung, mit „Refugees welcome“ mehr verkauft zu haben – eine Konferenz in Berlin widmet sich Umgang mit Hass in der Gesellschaft.

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, hat einen Verlust an demokratischer Streitkultur beklagt. „Vielerorts fehlt es an politischen Debatten“, sagte Krüger am Donnerstag in Berlin. Den Debatten selbst fehle es an „kritischem Rationalismus“, der auch mal zugeben könne, dass man sich irrt. Diese Diskursfähigkeit müsse angesichts der derzeit emotionalen Auseinandersetzungen gestärkt werden, forderte Krüger. Er sprach bei der Konferenz „Formate des Politischen“, bei dem vor allem ein Phänomen im Vordergrund stand: der Rechtspopulismus und dessen Auswirkungen auf den Ton der politischen Diskussionen.

Organisiert von Bundeszentrale, Bundespressekonferenz und Deutschlandradio diskutieren bis Freitag Medienschaffende, Wissenschaftler und Interessierte über den Wandel in Politik und Medien, etwa durch die Beschleunigung und das Verschwimmen der Grenzen im Internet. Insbesondere das Flüchtlingsthema schien die Streitkultur im Internet geradezu zu entfesseln. Hasskommentare sind inzwischen an der Tagesordnung. Fast jeder Journalist kann davon berichten.

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Krüger: Übergang zwischen Hassrede und Gewalt fließend

Krüger warnte: Die Übergänge von der Hassrede zur tatsächlichen Gewaltanwendung seien fließend. Er warb für Empathie und Kompromissfähigkeit auch in schwierigen Debatten. Gleichzeitig sprach er sich für „rote Linien“ aus: „Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, heißt nicht offenen Lügen, Hetze und Ressentiments eine Bühne zu geben.“

Die offene Gesellschaft lebe von der Bereitschaft des Einzelnen, Positionen zur Debatte zu stellen. Die Weigerung, dies zu tun, sei eine Wesensform des Populismus und mit der Demokratie nicht vereinbar, sagte Krüger. Er sagte, je polarisierter der politische Diskurs sei, desto weniger Wert werde auf Fakten gelegt. Der Bundeszentralen-Chef kritisierte, dass sich zunehmend Menschen in „digitalen Echokammern“ und „sich selbst bestätigenden Zirkeln“ bewegten.

Bild: Mit ‚Refugees welcome‘ haben wir nicht mehr verkauft

Diese Erfahrung hat auch die „Bild“-Zeitung nach Angaben des Online-Chefredakteurs Julian Reichelt gemacht. „Nichts hat uns ganz nachweislich wirtschaftlich in der Reichweite so sehr geschadet wie unsere klare, menschliche, empathische Haltung in der Flüchtlingskrise“, sagte der „bild.de“-Chefredakteur. Er erklärte, in Online-Foren und in sozialen Medien sei dem Blatt oftmals vorgeworfen worden, einzig aus wirtschaftlichen Gründen diese Linie zu vertreten. „Dass wir mehr Zeitungen mit ‚Refugees welcome‘ verkauft hätten, das kann ich hier absolut ausschließen“, sagte er.

Auch im digitalen Bereich, wo in den vergangenen Jahren überhaupt Zuwächse zu verzeichnen wären, habe „Bild“ verloren. Reichelt datierte den User-Verlust auf den Höhepunkt des Flüchtlingsandrangs im Spätsommer 2015. „bild.de“ habe damals seinen Platz als meistgenutzte deutsche Nachrichtenseite eingebüßt. Inzwischen steht sie wieder an der Spitze.

Wie viele andere Journalisten klagte Reichelt über Hass und Bedrohungen im Internet im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema. In den sozialen Medien sei die „rote Linie“ für das, was gesagt werden kann, weit nach hinten verschoben worden. Zugleich warnte er aber auch, die rote Linie des Sagbaren von der anderen Seite zu eng zu ziehen. Vieles werde als Hate Speech gebrandmarkt, was nicht so sei, sagte Reichelt. Damit verliere man Menschen, die scharf redeten, aber noch zugänglich wären für den Dialog. (epd/mig)