München

Amokläufer ist mehr Breivik und kaum ISIS

Zunächst ging die Polizei in München von einer „akuten Terrorlage“ aus, dann stellte sich heraus: Es war der Amoklauf eines 18-jährigen Einzeltäters. Zuvor hatten „Experten“ und Politiker spekuliert, die Tat könne einen „islamistischen“ Hintergrund haben.

Der Amokläufer von München hat sich nach Erkenntnissen der Polizei intensiv auf seine Gewalttat vorbereitet. Der  Todesschütze David S. entspreche dem typischen Amokläufer. Der 18-jährige Schüler hatte am Freitagabend in einem Einkaufszentrum neun Menschen erschossen und sich anschließend selbst getötet. Experten hatten über einen „islamistischen“ Hintergrund spekuliert. Die Bundesregierung will eine Verschärfung der Waffengesetze prüfen.

Der in München geborene Deutsch-Iraner David S. hat sich nach polizeilichen Ermittlungen seit Sommer 2015 auf seinen Amoklauf vorbereitet. So habe er Winnenden bei Stuttgart besucht und die Orte des Amoklaufs von 2009 fotografiert, sagte der Präsident des bayerischen Landeskriminalamts, Robert Heimberger, am Sonntag in München. Der mutmaßliche Täter sei zudem ein „ausgeprägter Ego-Shooter-Spieler“ gewesen und habe sich intensiv mit dem Spiel „Counter-Strike: Source“ beschäftigt.

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Kein Bezug zu Flüchtlingen

Der Münchner Polizeipräsident Hubertus Andrä hatte am Samstag erklärt, dass es „keinen Bezug zum Thema Flüchtlinge“ gibt. Eine politische Motivation für die Tat sei ebenfalls nicht zu erkennen, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch. Seinen Angaben zufolge hat sich der Verdacht bestätigt, dass der Täter unter sozialen Phobien und Depressionen gelitten habe. Deshalb sei er im vergangenen Jahr zwei Monate stationär und danach ambulant behandelt worden. Es sei aber möglich, dass er die verordneten Psychopharmaka nicht eingenommen habe.

In der Wohnung des Tatverdächtigen wurde das Buch „Amok im Kopf“ des Amerikaners Peter Langman gefunden. Für seine Tat wählte der Amokläufer den fünften Jahrestag der Anschläge des Rechtsextremisten Anders Breivik in Norwegen, bei denen 77 Menschen ums Leben kamen. Genau wie Breivik soll er Polizeiangaben zufolge ein Manifest verfasst haben, die die Polizei als Verschlusssache einstufte.

Wilde Spekulationen

Bis zu gesicherten Erkenntnissen von Seiten der Polizei wurde über mögliche Hintergründe der Tat spekuliert. Zahlreiche „Experten“ äußerten den Verdacht, die Tat könne „islamistisch“ motiviert sein. Insbesondere Politiker der AfD hatten sich den Spekulationen angeschlossen und um Stimmen geworben. Die Bundesregierung sei Schuld an der Einwanderung von den Tätern.

Dr. Abdel-Hakim Ourghi von Pädagogischen Hochschule Freiburg schrieb auf Facebook, er habe noch nie in seinem Leben „so naive Politiker/innen wie in Deutschland erlebt. Einfach alle Menschen aus allen Herren Ländern aufnehmen. Und jetzt haben wir in München einen Terrorverdacht. – Islamisten!“ Wie die Polizei später mitteilte, war der Täter in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ourghi löschte daraufhin seinen Kommentar.

Einzeltäter löste Ausnahmezustand aus

Die Schießerei im Olympia-Einkaufszentrum hatte einen Großeinsatz der Polizei mit 2.300 Einsatzkräften ausgelöst und die bayerische Landeshauptstadt in einen Ausnahmezustand versetzt. Die Polizei hatte zunächst noch von einer „akuten Terrorlage“ gesprochen und eine Großfahndung nach bis zu drei möglichen Tätern eingeleitet.

Die Zahl der Verletzten erhöhte sich nach Polizeiangaben inzwischen auf 35. Heimberger erklärte das damit, dass sich viele Geschädigte erst später in Krankenhäuser begeben hätten. Unter den Todesopfern waren unter anderem drei aus dem Kosovo stammende Familien. Sie haben bei dem Amoklauf je ein Kind verloren. Die türkische Regierung sprach von mehreren türkischen Todeesopfern.

Täter soll sozial isoliert

Der Kriminologe Christian Pfeiffer hält David S. für einen idealtypischen Amokläufer. „Er erfüllt alle Merkmale, die man in der Forschung als wichtige Faktoren bezeichnet“, sagte Pfeiffer der in Hannover erscheinenden Neuen Presse. Der Schüler sei psychisch in einer Krise und sozial isoliert gewesen. Zudem habe er unter Depressionen gelitten und massives Mobbing durch Mitschüler erlebt. Außerdem er habe offenbar ein schwieriges Elternhaus gehabt.

Auch nach Einschätzung der Kriminologin Britta Bannenberg entspricht der Amokläufer in vielen Punkten dem typischen Täterprofil: junger Mann, egoistischer Einzelgänger, still, zurückgezogen, schwer zugänglich. „Diese Täter haben eine Persönlichkeitsstörung, sie sind Narzissten“, sagte die Gießener Professorin. Die lange Planung sei typisch bei Amokläufern.

Es entwickeln sich Gewaltkulturen

Der Konfliktforscher Andreas Zick sagte, es sei nötig, die Sensibilität für junge Menschen in Krisenlagen zu verbessern. „Es entwickeln sich Gewaltkulturen, wenn die Prävention nicht gut aufgestellt ist“, sagte der Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Junge Menschen benötigten mehr Unterstützung für die Integration in die Gesellschaft. Zugleich müsse die Gesellschaft sich stärker auf Gewalt und Terror einstellen.

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe warnte vor falschen und voreiligen Schlussfolgerungen. „Mit großer Sicherheit kommt eine Depression des Täters als Ursache für den Amoklauf in München nicht infrage“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung und Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig, Ulrich Hegerl.

Regierung prüft Verschärfung der Waffengesetze

Die Bundesregierung will eine Verschärfung der Waffengesetze prüfen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), sagte der Bild am Sonntag, es müsse sorgfältig geprüft werden, ob es gesetzlichen Handlungsbedarf gibt. Er betonte zugleich, dass die Waffengesetze in Deutschland seien schon jetzt sehr streng seien. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sprach sich dafür aus, alles tun, um den Zugang zu tödlichen Waffen zu begrenzen und streng zu kontrollieren. (epd/mig)