Skandalurteil

Richter und AfD-Mitglied verbietet Extremismusforscher NPD-Kritik

Ein Urteil des Dresdner Landgerichts schlägt hohe Wellen: Ein Richter und AfD-Mitglied hat einem renommierten Extremismusforscher verboten, NPD-kritische Äußerungen zu wiederholen. Forscher sehen die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr.

Politikwissenschaftler in ganz Deutschland haben das Verbotsurteil des Dresdner Landgerichts zu NPD-kritischen Aussagen kritisiert. „Der Beschluss des Landgerichts beschneidet die Wissenschaftsfreiheit“, erklärte die Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft am Donnerstag in Osnabrück. Die Forscher reagierten damit auf eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Dresdens, die dem Dresdner Extremismusforscher Steffen Kailitz die Wiederholung NPD-kritischer Äußerungen untersagt. (AZ: 3 O 925/16 EV)

Forschungsergebnisse öffentlich darzustellen, gehöre zu den zentralen Aufgaben von Wissenschaftlern, hieß es in einer Stellungnahme der Vereinigung für Politische Wissenschaft. Natürlich dürften sowohl die Forschung als auch darauf beruhende Schlussfolgerungen kritisiert werden. „Aber deren Veröffentlichung gerichtlich zu unterbinden, schränkt die Freiheit der Wissenschaft unzulässig ein“, betonten die Politologen.

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Am Mittwoch war bekanntgeworden, dass das Dresdner Landgericht dem Wissenschaftler untersagt hat, bestimmte kritische Aussagen über die rechtsextreme NPD zu wiederholen. Erlassen wurde das Urteil bereits am 10. Mai durch den Richter am Landgericht, Jens Maier. Maier ist Mitglied der rechtspopulistischen AfD und soll dem Antrag des NPD-Anwalts Peter Richter vollständig gefolgt sein, ohne das Verbot jedoch zu begründen. Kailitz war im März im NPD-Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe als einer von vier Sachverständigen aufgetreten. Er gilt als einer der renommiertesten Extremismusforscher in Deutschland.

„Unser Kollege Kailitz darf nicht mehr öffentlich und in Fachpublikationen vertreten, dass die NPD ‚rassistisch motivierte Staatsverbrechen‘ plane und ‚acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben‘ wolle, darunter ‚mehrere Millionen deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund‘, hieß es in der Stellungnahme der Politologen. Diese Äußerungen beruhten auf seiner jahrelangen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit politischem Extremismus im Allgemeinen und mit der NPD im Speziellen.

Geradezu grotesk wirke der Beschluss des Landgerichts Dresden vor dem Hintergrund, dass Kailitz vom Bundesverfassungsgericht Anfang März als Sachverständiger im NPD-Verbotsverfahren angehört wurde, so die Vereinigung. Aufgrund der angedrohten weitreichenden Konsequenzen erscheine es schwer verständlich, weshalb der Unterlassungsbeschluss ohne mündliche Verhandlung erging, und dass eine Begründung der Entscheidung nicht vorliegt. „Wir haben volles Vertrauen, dass der Beschluss des Landgerichts Dresden korrigiert werden wird, so dass auch zukünftig eine politikwissenschaftlich fundierte Kritik extremistischer Parteien möglich bleibt“, erklärten die Forscher.

Auch Kailitz sprach in einem epd-Gespräch von einem „Skandalurteil“. Der 47-jährige Politikwissenschaftler am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden hat mittlerweile über seinen Anwalt Berufung gegen die einstweilige Verfügung eingelegt.

Im epd-Gespräch kritisierte der Forscher, dass das Dresdner Landgericht allein durch den Einzelrichter Maier das Urteil ohne eine mündliche Anhörung sowie ohne Urteilsbegründung gefällt habe. Dies sei „sehr ungewöhnlich“, sagte der Forscher. Sollte das Urteil Bestand haben, sieht Kailitz seine Karriere als Wissenschaftler gefährdet. Weitere seiner Artikel, Gutachten, Studien und Analysen über die NPD dürfte er dann nicht mehr weiterverbreiten. Auswirkungen auf das laufende NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe sieht der Extremismusforscher indes nicht. (epd/mig)