Der EU-Türkei-Plan

Rechtlich bedenklich, moralisch in Ordnung?

Ein Türkei-EU-Pakt soll die „Flüchtlingskrise“ lösen. Gegen den Plan gibt es aber rechtliche, politische und moralische Bedenken – doch auch jeweils Argumente dafür. Phillipp Saure fasst sie zusammen.

Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag steht ein umstrittener Pakt mit der Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise auf der Tagesordnung. Danach würde die Türkei sämtliche Flüchtlinge und andere Migranten aus Griechenland zurücknehmen. Im Gegenzug soll für jeden zurückgeführten Syrer ein Syrer direkt aus der Türkei legal und sicher nach Europa kommen dürfen. Gegen den Plan gibt es rechtliche, politische und moralische Bedenken – doch auch jeweils Argumente dafür.

Rechtliche Seite

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Im Zentrum der Diskussion steht die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951. Sie bildet den Grundstein des internationalen Flüchtlingsschutzes. Zentraler Punkt der Konvention ist das Gebot der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement): Ein Land darf Flüchtlinge nicht dorthin zurückschicken, wo ihnen Verfolgung droht. Allerdings gilt die GFK, die vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs erarbeitet wurde, in der Türkei nur für Europäer. Syrer oder Afghanen etwa können sich dort nicht auf sie berufen.

Im aktuellen Fall geht es nicht so sehr darum, dass Flüchtlinge aus Griechenland wieder in der Türkei landen, sondern dass die Türkei sie ihrerseits in gefährliche Länder abschiebt, urteilt der Osnabrücker Rechtsprofessor Thomas Groß. „Es besteht die Gefahr, dass Flüchtlinge etwa in asiatische Länder zurückgeschickt werden, wo sie selber Verfolgung unterliegen.“ Das widerspreche dem EU-Recht, welches sich seinerseits auf die GFK berufe, sagt Groß.

Die EU-Kommission, aber auch die Bundesregierung sehen dies anders. Staatsminister Michael Roth aus dem Auswärtigen Amt verwies am Dienstag darauf, dass sich die Türkei nach ihrem eigenen nationalem Recht durchaus auf das Non-Refoulement-Prinzip verpflichtet habe. Davon abgesehen gelte in der Türkei die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie ist ein Abkommen des Europarats, dem die Türkei angehört. Allerdings bezweifelt ein aktuelles Gutachten des Frankfurter Rechtsanwalts Reinhard Marx im Auftrag der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl, dass die EMRK in der Türkei wirksam angewandt werde.

Politische Seite

Der politische Vorteil des Vorschlags wäre, dass nicht mehr so viele Menschen unkontrolliert über Griechenland in die EU gelangen. Das würde Griechenland und die Balkanländer entlasten – sowie die bevorzugten Zielländer Deutschland, Österreich und Schweden. Ferner könnte dem Schlepperunwesen der Boden entzogen werden. Denn dieses lebt von den irregulären Migranten, die von der Aussicht auf Zurückführung abgeschreckt würden.

Andererseits begäbe sich die EU womöglich in eine gefährliche Abhängigkeit von Ankara. Zudem ist auf EU-Seite längst nicht ausgemacht, wie die Gegenleistung erfüllt werden soll. Denn im Gegenzug für die Rücknahme der irregulären Migranten sollen syrische Flüchtlinge aus der Türkei legal in die EU kommen dürfen. Länder wie Ungarn und Polen haben auf dem letzten Gipfel darauf bestanden, dass aus dem Pakt keine „neuen Verpflichtungen“ zur Umsiedlung entstehen, wie es in der Abschlusserklärung heißt. Daneben besteht die Gefahr alternativer Flüchtlingsrouten etwa über das Mittelmeer.

Moralische Seite

Der Plan sieht vor, dass Menschen jeder Herkunft aus Griechenland zurück in die Türkei gebracht würden. Doch nur Syrer hätten in seinem Rahmen die Chance, legal nach Europa zu kommen. Ist aber ein Syrer mehr wert als ein Iraker, wenn beide vor dem „Islamischen Staat“ geflüchtet sind? Auch die Grundsatzfrage stellt sich, ob mit der türkischen Regierung, die die Pressefreiheit beschneidet und gewaltsam gegen die Kurden vorgeht, so eng zusammengearbeitet werden darf.

Andererseits ist zweifelhaft, ob ein „Weiter so“ moralischer wäre. Der CDU-Europaparlamentarier Herbert Reul fragte vor kurzem: „Sollen wir denn so weitermachen wie bisher, Flüchtlinge da verrecken lassen, in Boote steigen lassen, und keine Lösung haben?“

Allerdings existieren weitere Alternativen. Pro Asyl beispielsweise fordert, den „Deal“ mit der Türkei abzulehnen und nichtsdestoweniger im größeren Maßstab legale Umsiedlungen von Flüchtlingen in die EU einzuleiten. (epd/mig)