Experten antworten

Wie sollen Parteien mit der AfD in den Landtagen nun umgehen?

Die AfD ist der große Wahlsieger bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Für die anderen Parteien stellt sich nun die Frage: AfD boykottieren oder sich mit ihren Inhalten auseinandersetzen? MiGAZIN fasst Expertenmeinungen zusammen:

Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer plädiert dafür, die AfD und ihre Anträge in den Parlamenten nicht zu ignorieren. „Das wäre genau die Reaktion, die sich die Partei wünscht“, sagt der Parteienforscher. Demgegenüber hält es der Politikpsychologe Thomas Kliche für naiv, der rechtspopulistischen AfD in den Landtagen mit politischen Argumenten zu begegnen. Argumente prallten an der AfD ab, das sei das Gegenteil von demokratischer Auseinandersetzung. „Die AfD bietet generell keine Argumente, sie ist eine von Ausgrenzungswillen geprägte Ein-Punkt-Partei mit etwas zusammengesuchtem Drumherum.“

Genau das sei Strategie der AfD, sagt Niedermayer, der an der Freien Universität in Berlin lehrt. Die AfD stelle sich dar, als werde sie von den etablierten Parteien ohne Grund ausgegrenzt. Sie behaupte, sie sei eine normale Partei, gegen die die anderen Parteien keine Argumente hätten. „Ignorieren würde darauf hinauslaufen, dass man diese Argumentation indirekt unterstützt“, so Niedermayer.

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AfD gehört unter Quarantäne

Dagegen hält Politikpsychologe Kliche, der an der Hochschule Magdeburg-Stendal lehrt: Gewaltbereite Rechtsextreme betrachteten die AfD als ihren parlamentarischen Arm. Außerdem habe die Partei Spitzenvertreter mit rassistischen und menschenfeindlichen Haltungen. „Die AfD gehört deshalb unter Quarantäne.“ Zwar könnte sich die AfD in ein paar Jahren zivilisiert haben und eine rechtskonservative Partei herausgekommen sein. Bis dahin werteten die etablierten Parteien aber die AfD auf, wenn sie meinten, miteinander reden helfe.

Parteinforscher Niedermayer sieht demgegenüber besonders die anderen Parteien in der Pflicht, sich mit der AfD und ihren Inhalten auseinanderzusetzen. „Sie müssen jetzt aufzeigen, welche Positionen und Argumente der AfD falsch sind.“ Die AfD sei in allen neu gewählten Landtagen zweit- oder drittstärkste Fraktion – „es ist nicht mehr möglich, sie zu ignorieren.“

Ignorieren oder gar boykottieren? Auch Letzeres erachtet Kliche als sinnvoll. So könnten etwa Abgeordneten der anderen Parteien bei AfD-Reden aus dem Saal gehen. Die AfD habe erlebt, dass man mit Parolen erfolgreich Politik mache. Wer darauf eingehe, belohne die Partei nur mit weiterem kollektiven Machterleben. Doch: „Wir haben keine Zeit für Ewiggestrige.“

Viele Ostler nicht in Demokratie angekommen

Ursache für den großen Wahlerfolg der AfD in Sachsen-Anhalt ist nach Ansicht des Leiters des SED-Forschungsverbundes, Klaus Schroeder, der anhaltende Minderwertigkeitskomplex vieler Ostdeutscher. Sie fühlten sich zum Teil nach wie vor vom Westen dominiert und seien auch 26 Jahre nach Mauerfall nicht in der Demokratie angekommen, sagte der Politikwissenschaftsprofessor von der Freien Universität (FU) Berlin. Die Meinung „wir werden vom Westen unterdrückt oder ausgehalten“ sei immer noch weit verbreitet und münde in der Erkenntnis: „Der Westen hat uns sein System aufgedrückt, wir wollten aber eigentlich nur das Geld und die Reisefreiheit.“

Und dann komme die AfD und schaffe ein neues Selbstbewusstsein gegen die Etablierten, gegen den Westen, sagte Schroeder. Sätze wie „wir sind die neue Volkspartei“ sei gleichbedeutend mit „wir zeigen es denen, wir sind wieder wer“, so Schroeder. Das ziehe natürlich. Kritik an der Politik der Bundeskanzlerin sei ja durchaus berechtigt und müsse geäußert werden, aber so einfach wie die AfD es ihren Anhängern sagt, so einfach sei das Leben eben nicht, sagte der Politikwissenschaftler.

Jeder Zweite hat extreme Parteien gewählt

Dass dabei viele einstige Linkspartei-Wähler zur AfD gewechselt sind, überrasche ihn nicht. Auch die Linkspartei schüre schon immer Sozialneid und polemisiere gegen den Westen und „die da oben“. „Das hat sich jetzt bloß eine andere Quelle gesucht, die noch ein bisschen frischer, frecher und provokativer ist“, sagte Schroeder. Dazu komme, das die Linkspartei im Osten schon etabliert ist. Sie werde zwar noch von den Linkspopulisten gewählt, aber die AfD sei als Protestpartei derzeit frischer und anregender.

Sorge bereite ihm, dass praktisch jede zweite der in Sachsen-Anhalt abgegebenen Stimmen an eine extremistische oder populistischen Partei gegangen sei, sagte der Wissenschaftler. Dazu zähle er neben AfD, NPD und anderen obskuranten Extremisten auch die Linkspartei. „Das heißt, jeder zweite in Sachsen-Anhalt stellt sich quer zu den etablierten Parteien. Das ist schon ein Alarmzeichen“, so Schroeder.

Warnen vor weiterem Rechtsruck

Der Berliner Extremismusforscher Hajo Funke warnt vor einem weiteren Rechtsruck. Die AfD habe sich zu einer radikalen Protestpartei entwickelt, die die „Pegida“-Bewegung zu ihrem Verbündeten erklärt habe, sagte Funke. Die Mobilisierung der Ressentiments gegenüber Flüchtlingen sei für die AfD das Entscheidende. Dazu trete ein „brauner Schatten“, der Gewalt wolle und ausübe, betonte der emeritierte Politikprofessor an der Freien Universität Berlin.

Bei der Gegenwehr komme es auf die Handlungsfähigkeit von Parlament und Regierung in zentralen Politikfeldern an. Dabei müsse es vor allem um ein besseres Krisenmanagement und die Klärung der Flüchtlingssituation in den nächsten Monaten gehen. Nötig sei auch eine viel weiter ausgebaute und differenzierte Integration. Zudem könnten Medien, Politiker und die Zivilgesellschaft „entscheidend mehr tun“. Menschen sollten sich vor allem an die Seite von Flüchtlingen stellen, wenn sie bedroht werden.

Wahlausgang ist tektonische Plattenverschiebung

Der Rechtsextremismusexperte vom Verein Miteinander, David Begrich, nannte den Wahlausgang in Sachsen-Anhalt eine „tektonische Plattenverschiebung“. Mit 15 Direktkandidaten und einem Stimmenanteil von 24,2 Prozent sei der AfD aus dem Stand gelungen, was vorher noch keine andere rechtspopulistische Partei geschafft habe. Dieses Ergebnis sei auch Beleg dafür, „dass wir vor der Etablierung eines rechten Blocks im Parteiensystem in Deutschland stehen“.

Es sollte niemand darauf hoffen, dass sich die „deutlich auf dem rechten Parteiflügel beheimatete“ AfD in Sachsen-Anhalt selbst demontiere, erklärte Begrich. Sie werde in der Lage sein, die politische Agenda mitzubestimmen. Er halte nichts von der Idee, über Geschäftsordnungstricks die AfD „zu stellen“. Besser sei, Widersprüche und Paradoxien im Programm der Partei aufzudecken. Dies sei im Wahlkampf gar nicht erfolgt. Auch ein Versuch, die AfD moralisch zu diskreditieren, werde scheitern. (epd/mig)