Türkei-Vorschlag zur Flüchtlingskrise

Warum die EU Ankaras Forderungen akzeptieren sollte

Der Vorschlag der Türkei auf dem EU-Gipfel zur Bewältigung der aktuellen Flüchtlingssituation findet Befürworter und Kritiker. Während Merkel den Plan unterstützt, sperren sich andere Regierungschefs dagegen. Im Ergebnis gibt es aber keine bessere Option, als das türkische Angebot anzunehmen. Von Alexander Bürgin

Beim jüngsten EU-Gipfel am 7. März überraschte der türkische Premierminister Ahmet Davutoğlu die EU-Regierungschefs mit einem Vorschlag, der die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer drastisch reduzieren könnte. Denn die türkische Regierung erklärt sich bereit, alle Flüchtlinge, die an den griechischen Küsten stranden, wieder zurückzunehmen. Im Gegenzug sollen die EU-Staaten für jeden zurückgenommenen Syrier, einen syrischen Flüchtling aus einem der Flüchtlingslager in der Türkei aufnehmen.

Die Reaktion auf dem EU-Gipfel fiel ambivalent aus: Während die deutsche Bundeskanzlerin den Plan unterstützt, sperren sich andere Regierungschefs dagegen, Flüchtlinge aus der Türkei zu übernehmen. Was diese Regierungen allerdings offenbar übersehen: Wenn klar ist, dass jeder in Griechenland ankommende Flüchtling umgehend zurück in die Türkei geschickt wird, werden kaum noch Menschen die riskante Überfahrt von der Türkei nach Griechenland auf sich nehmen. Da somit mit nur wenigen Syrern zu rechnen ist, die die Türkei von Griechenland übernehmen muss, müssen die EU-Staaten im Gegenzug auch nur wenige Menschen aus den türkischen Flüchtlingslagern aufnehmen. Für Staaten, die sich einer europäischen Verteilung der Flüchtlinge verweigern, würde dieser Plan also wohl kaum neue Lasten abverlangen. Ihre Skepsis gegenüber dem Plan ist unangebracht. Für die Flüchtlinge hieße die Umsetzung des Plans allerdings, dass der Weg in die EU zunächst einmal versperrt ist.

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Eine solche Maßnahme allein wäre schäbig für die EU. Daher haben die EU-Staaten schon im November 2015 vereinbart, die Türkei finanziell massiv zu unterstützen, damit in den türkischen Flüchtlingslagern Standards eingehalten werden, Flüchtlingskinder die Schule besuchen können und deren Eltern Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen. Die von der Türkei geforderte Aufstockung der Mittel um weitere drei Milliarden Euro sollte für die EU kein größeres Problem sein, wenn dafür die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge drastisch sinkt. Jedoch sollte die EU unabhängig davon, wie viele Syrer die Türkei von den griechischen Inseln zurücknimmt, darüber nachdenken, mehr Flüchtlinge von der Türkei zu übernehmen. Um die Ängste der Bürger vor dieser Herausforderung zu nehmen, sollte klar gemacht werden, dass der Schutz temporär ist und die Mehrheit der aufgenommenen Flüchtlinge nach dem Ende des Kriegs in Syrien nach und nach wieder dorthin zurückkehren müssen.

Neben der mangelenden Bereitschaft überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen, äußerten einige Politiker und Kommentatoren Unmut darüber, auf zwei weitere Forderungen der Türkei einzugehen, die Visafreiheit für türkische Bürger und eine Beschleunigung des Beitrittsprozesses in die EU. Angesichts des problematischen Umgangs der türkischen Regierung mit der Pressefreiheit, halten es viele für falsch, diese Wünsche der Türken zu erfüllen. Allerdings: Ohne Ankara ist die Flucht über das Mittelmeer nicht zu stoppen. Und wenn die EU sich einem Deal mit der Türkei versperrt, wird sie viel weniger Einfluss auf die Entwicklungen des Landes nehmen können, als wenn neue Verhandlungskapitel eröffnet würden. Die Eröffnung weiterer Kapitle mag eine hohe symbolische Bedeutung haben, es heißt aber nicht, dass die EU bei den in diesen Kapiteln definierten Standards, etwa die Unabhängigkeit der Justiz und die Pressefreiheit betreffend, klein beigibt. Entscheidend ist nicht die Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel, sondern deren Abschluss. Die EU kann weiterhin klarmachen, dass ein Kapitel nur abgeschlossen werden kann, wenn die Bedingungen erfüllt sind. Die EU sollte daher über ihren Schatten springen, und der Forderung Ankaras entsprechen.

Gleiches gilt für die geforderte Abschaffung der Visapflicht. Die EU-Kommission hat der Türkei jüngst große Fortschritte bei der Erfüllung der Bedingungen für die Visafreiheit bescheinigt, wenn auch noch nicht alle Kriterien vollständig erfüllt sind. Manche Regierungen sorgen sich, dass einige die Visafreiheit nutzen werden, um dauerhaft in der EU zu bleiben, anstatt nach Ablauf des Visums nach maximal 90 Tagen wieder auszureisen. Allerdings: Strafen wie langjährige Einreiseverbote dürften den Anreiz senken, dieses Risiko einzugehen. Ein anderes Argument gegen die Visafreiheit ist die Befürchtung, dass dies zu einem Anstieg von Asylbewerbern aus der Türkei führen könnte. Schnellere Verfahren könnten dem entgegenwirken: Wer keinen Anspruch auf Asyl hat, muss das Land umgehend wieder verlassen. Und sollte das Asylgesuch berechtigt sein – dann es ist die Pflicht Deutschlands, Asyl zu gewähren. Darüber hinaus würde der Wegfall der Visumspflicht wirtschaftliche Vorteile bringen, da mehr türkische Touristen Europa besuchen und Geschäftsbeziehungen erleichtert würden.

Beim nächsten EU-Gipfel am 17. und 18. März werden die EU-Staaten über das türkische Angebot entscheiden. Sie sollten sich einen Ruck geben und es annehmen. Eine bessere Option zur Bewältigung der Flüchtlingskrise ist nicht in Sicht.