Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte

Polizeiliches Datenchaos verharmlost rechte Straftaten

Im Hinblick auf rechtsextreme Gewalttaten scheint in Deutschland kaum einer den Überblick zu haben – auch nicht das Bundesinnenministerium. Viel schlimmer ist: das BKA schützt biedermännische Brandstifter sogar. Von Monika Lazar.

Gute Polizeiarbeit baut auf gutem Handwerkszeug auf. So soll die Erfassung der sogenannten „Politisch motivierten Kriminalität“ (PMK) die Polizei befähigen, ein genaues Lagebild zu erstellen, um zielgenau und (für Parlament und Öffentlichkeit) nachvollziehbar zu handeln.

Dass es hier auf Seiten der Polizei gravierende Mängel gibt, das hielt der 1. Parlamentarische Untersuchungsausschuss NSU des Deutschen Bundestages in seinem Abschlussbericht fest. Danach war die polizeiliche Analyse rechtsextremer Gewalt jahrzehntelang „fehlerhaft, das Lagebild dadurch unzutreffend“- mit den bekannten Folgen (siehe Beschlussempfehlung und Bericht, S. 861).

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Danach wurde allseits Besserung gelobt. Vier Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU ist es Zeit für einen Realitäts-Check: Werden rassistische Straftaten heute rechtzeitig erkannt, klar benannt und konsequent bestraft? Nach den Antworten auf unsere detaillierte Parlamentarische Anfrage zu den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland müssen wir feststellen: Das Bundeskriminalamt (BKA) liefert nicht nur chaotische Zahlen. Es zeigen sich auch weiterhin große Probleme bei der inhaltlichen Einordnung einzelner Anschläge, als auch ein großes Unverständnis auf Seiten der Polizei, das Interagieren von Nazis und rechten Brandstiftern zu verstehen.

Zahlensalat

Im Hinblick auf das Phänomen rechter Gewalt in Deutschland schwirren viele verschiedene Zahlen durch den Raum. Kaum eine und kaum einer scheint da den Überblick zu haben – auch nicht auf Seiten des Bundesinnenministeriums und des BKA. Aber der Trend ist klar:

Wir können nun aber nach der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage feststellen: Das ist nur ein Teil und zwar der kleinere Teil der Wahrheit.

Tendenz: steigend!

Politisch motivierte Straftaten (sog. PMK-Delikte) werden beim BKA anhand des sogenannten Themenfeldkatalogs-PMK erfasst. Dieser Katalog enthält im Hinblick auf die Thematik Angriffe auf AusländerInnen, Flüchtlinge beziehungsweise Flüchtlingsunterkünfte drei relevante Datensätze (Stand: 11.11.2015). Danach wurden im vergangenen Jahr

Damit steht fest: Tatsächlich gibt es mehr als doppelt so viele rechte Straftaten, die im Zusammenhang mit der Unterbringung von AsylbewerberInnen stehen, als das BKA in seinem Lagebericht ausweist.

Hinzu kommt Folgendes:

BKA schützt biedermännische Brandstifter

Leider erlebt man bei der Erfassung dieser Anschläge durch die Polizei noch ein weiteres Déjà-vu: Immer noch wird der rechte Kontext vieler Angriffe durch die Polizei oft verkannt.

Etwa beim Brandanschlag auf die geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz (Sachsen-Anhalt) im April 2015. Die Polizei will auch selbst dann noch nicht von einem möglichen rechten Anschlag reden, nachdem ein NPD-Sympathisant als Tatverdächtiger festgenommen worden ist (das sei ja – so die Bundesregierung – noch „ein laufendes Ermittlungsverfahren“).

Oder beim Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Escheburg (Schleswig-Holstein) im Februar 2015: Hier hatte ein Finanzbeamter im Nachbarhaus Feuer gelegt, damit dort keine Flüchtlinge untergebracht werden konnten. Auch hier leugnet die Polizei bis heute den rechten Tathintergrund – selbst nachdem das zuständige Gericht den Anschlag als klar „fremdenfeindlich“ eingestuft hatte.

Gleiches gilt als, ein Feuerwehrmann (!) im sauerländischen Altena eine im Bau befindliche Flüchtlingsunterkunft anzündete, aus – wie der Tatverdächtige später gestand – „Verärgerung über den Einzug von Flüchtlingen in das Wohngebiet“. Auch dies soll aus Sicht der Bundesregierung kein rechter Anschlag gewesen sein.

Bundesregierung verkennt, wie rechte Brandstifter mit PEGIDA, AFD und NPD interagieren

Wie sehr PEGIDA, AfD und der rechte Mob zusammenarbeiten, lässt sich inzwischen gut erkennen. Dass rechte Schläger nämlich nicht mehr nur mit Brandsätzen, Hämmern und Holzknüppeln losstürmen, ist auch dem BKA aufgefallen. Inzwischen testen sie – laut BKA – gezielt auch neue Aktionsformen. Dazu gehören insbesondere Blockaden an Bahnhöfen, Autobahnen oder direkt vor Flüchtlingsunterkünften. Genau hier findet der Brückenschlag nicht nur zur NPD statt (die gezielt die lokale Kampagne „Nein zum Heim“ steuert), sondern auch zu PEGIDA und AfD, die ganz ungeniert zu ebensolchen Blockaden aufrufen.

Dennoch bleibt das BKA stoisch dabei, dass es sich bei den Tätern primär um Einzeltäter handele und es keine Belege für eine bundesweite Streuung beziehungsweise Lenkung durch rechtsradikale Parteien gebe.

Und was lernen wir daraus?

Die Polizei muss noch viel tun, um ihren Auftrag aus dem NSU-Untersuchungsausschuss einzulösen. Die PMK-Erfassung liefert auch heute keine plausiblen, widerspruchsfreien Daten. Nach wie vor gibt es eklatante strukturelle Mängel, auch hinsichtlich der Kooperation beziehungsweise des Datenabgleichs mit zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen. Wer aber keine validen Daten über das Ausmaß rechter Gewalt hat, der kann kein verlässliches Lagebild zeichnen, aus dem sich wirksame Gegenstrategien entwickeln ließen. Während sich die Gewalt gegen Flüchtlinge sowohl quantitativ als auch qualitativ erkennbar zuspitzt, hat aktuell im Bundestag ein neuer NSU-Untersuchungsausschuss die Arbeit aufgenommen. Eine grundlegende und zeitnahe Reform des PMK-Erfassungssystem gehört zu den wichtigen Themen, die die Grüne Bundestagsfraktion dort auf die Agenda setzen wird. Das sind wir den vielen Opfern rechter Gewalt schuldig.