Übergriffe in Köln

Wir schieben Täter ab und behalten das Problem

Wer eine Straftat begeht, muss nach Recht und Gesetz bestraft werden. Das muss für alle Menschen herkunfts- und religionsübergreifend gelten. Entsprechend muss auch die Debatte geführt werden. Sonst hilft sie niemandem. Von Birol Kocaman.

Wer Diebstahl begeht, soll bestraft werden; wer Frauen sexuell belästigt, soll ebenfalls nach Recht und Gesetz bestraft werden. Bis hierhin sind die Forderungen rund um die Ereignisse am Kölner Hauptbahnhof legitim. Nachvollziehbar sind auch Forderungen nach Strafrechtsverschärfungen. Jedes Jahr werden etwa 7.000 bis 8.000 Anzeigen von Frauen registriert, die Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung geworden sind – die Dunkelziffer ist zehnmal so hoch 1. Wer so etwas tut, hat die Strafe verdient.

Nicht in Ordnung ist allerdings, dass diese Forderungen im Kontext von Asyl, Herkunft und Religion gestellt werden. Wenn eine Horde von jungen alkoholisierten Männern in Feierlaune Frauen sexuell belästigen, so ist das zunächst einmal leider nichts Neues. Von Gruppenexzessen – herkunfts- und religionsübergreifend – wird jeder in der Jugendhilfe und Sozialarbeit Beschäftigter berichten können.

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Warum also wurde die Debatte nicht schon viel früher geführt – nach einem der aktenkundigen 7.000 bis 8.000 Straftaten beispielsweise, warum nicht während eines Oktoberfests oder nach berauschenden Public-Viewing-Events? Bei solchen Veranstaltungen werden viele Frauen Opfer von sexuellen Übergriffen. Warum ist das nicht gesellschaftlich geächtet? Warum stört es uns nicht, dass viele Frauen wegen den Sprücheklopfern, Grabschern und Gewalttätern solche Feier ganz meiden und lieber zu Hause bleiben? Wo bleibt der Aufschrei?

Man könnte einwenden, die Geschehnisse am Hauptbahnhof wären in der Größenordnung spektakulär gewesen. OK. Bleibt immer nocht die Frage im Raum, aus welchem Grund die Debatte ethnisiert und kulturalisiert wurde und welche Rolle die Religion gespielt haben soll? Die Kombination aus „Gewalt gegen Frauen“, „Männer“ und „Muslime“ ruft offenbar inzwischen verfestigte Automatismen hervor. Es scheint gesellschaftlicher Konsens geworden zu sein, dass der Muslim Frauen schlägt. Unsere Werteordnung, unser Welt- und Frauenbild, unsere Freizügigkeit, heißt es dann. Und wer sich nicht daran hält, der fliegt. Auch OK.

Nur, wohin mit unserer Werteordnung, unserm Welt- und Frauenbild und unserer Freizügigkeit, wenn die Täter – ganz nach Seehofers Geschmack – abgeschoben sind? Dann hätten wir immer noch mehrere tausend Sexualdelikte Jahr für Jahr. Die lassen sich nicht abschieben – die sind Made in Germany. Und deshalb wird diese Debatte, so lange sie ethnisiert wird, keiner Frau helfen. Im Gegenteil: Wir werden uns für eine lange Weile einreden, wir hätten das Problem angepackt und behoben.

In Wahrheit haben wir Vorurteile und Ressentiments gegen Asylbewerber und Muslime geschürt. Darüber freut sich nur der braune Mob und reibt sich schon die Hände – über das neue Asylrecht.

  1. Dieser Satz wurde nachträglich ergänzt um die Dunkelziffer