Buchkritik zum Wochenende

Unzulässige Kulturalisierung sozialer Fragen

Besorgniserregend ist die Diskussion um ein neu erschienenes Buch einer Bochumer Polizistin. Darin subsumiert die Polizistin Menschen unter Kollektivmerkmale und meint, ihr Verhalten sei eine Folge ihrer Religionszugehörigkeit. Von Çiğdem Deniz Sert

Die Bochumer Polizistin Tania Kambouri kurbelt mit ihrem jüngst erschienenen Buch „Deutschland im Blaulicht. Notruf einer Polizistin“ eine unsägliche Diskussion – vor allem im Ruhrgebiet. Die Polizistin subsumiert Menschen unter Kollektivmerkmale und impliziert, deren Verhalten sei eine deterministische Folge ihrer vermeintlich religiösen Zugehörigkeit. Das ist durchaus bedenklich und empörend.

Dies gilt vor allem jenen, die dieses Buch zum Anlass nehmen „endlich auch mal das zu sagen, was Realität ist.“ Und die dabei den Kritikern in grenzwertigen Leserbriefen vorwerfen, sie würden auf ihren „Gebetsteppichen“ in unrealistischen Sphären schweben. Es seien nun mal eben diese Migranten und Muslime, die dafür sorgen, dass sich die Polizistin und viele andere gemeinsam mit ihr „in ihrem Land fremd fühlen.“

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In ihrem Land? Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit muslimischem Glauben, Menschen, die sozioökonomisch benachteiligt sind, Obdachlose, Arbeitslose, Atheisten – all diese Menschen leben auch in ihrem Land Deutschland.

„Der Rassismus übersieht und leugnet, dass der Mensch zwar über bestimmte erblich erworbene Anlagen verfügt, die aber immer in der politischen, sozialen und ökonomischen Umwelt geformt werden.“ Quelle: bpb

Dass niemand den Vorwurf des Rassismus auf sich sitzen lassen möchte, ist verständlich. Das Problem ist aber, dass Rassismus keine Frage von Absichten ist oder sich auf den Willen des Einzelnen beschränkt, sondern anhand objektiver Kriterien festzustellen ist.

Wenn eine Polizistin pauschal von den „straffälligen Migranten“ spricht oder „die ausländischen Bürger“, die sie angeblich nicht respektieren, dann ist dies ein ziemlich gefährlicher und undifferenzierter Umgang mit der Realität in der Migrationsgesellschaft. Hierbei ist völlig unerheblich, ob und falls ja, was sich eine Polizistin bei solchen Aussagen denkt. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob sich dahinter eine von der Polizistin bewusst wahrgenommene rassistische Haltung befindet. Die Gefahrenanalyse der Polizistin bezieht sich nämlich pauschal auf „Muslime“.

Sie beklagt die „Überzahl an straffälligen Migranten“ und beschwert sich darüber, „sich im eigenen Lande fremd zu fühlen“. Wenn diese Terminologie als der naive, gut gemeinte Erfahrungsbericht einer Polizistin dargestellt wird, dann kann man wohl davon sprechen, dass der Rassismus inzwischen Normalität darstellt. Persönliche Erfahrungen legitimieren keine Sichtweisen, die den Rassismus in unserer Gesellschaft fördern.

Das Problem des Buches ist nicht nur die fehlende Analyse der Behauptungen – Überzahl an straffälligen Migranten? – sondern auch das Zuschreiben von rechtswidrigem, respektlosem und frauenfeindlichem Verhalten einzelner Menschen einem vermeintlichen Kollektiv, das sich unter die Gemeinschaft der „Muslime“ subsumieren lässt.

Fälle von Respektlosigkeit bis hin zu Gewalt gegenüber Polizeibeamten hört man auch von Mitgliedern rechter Szenen. So gab es im vergangenen Jahr gewalttätige Ausschreitungen durch rechte Hooligans gegen u.a. Polizeibeamte. Bei diesen Ereignissen ist richtigerweise niemand auf die Idee gekommen, dieses Verhalten zu kulturalisieren, unter ein Kollektiv (christlich-deutsch) zu subsumieren und dann ein Bild des gewalttätigen christlichen Deutschen zu etablieren. Auch die Gewalttaten des NSU wurden zu keinem Zeitpunkt einem religiösen oder nationalen Kollektiv zugeschrieben. Keiner der mutmaßlichen Täter wurde im Zusammenhang mit seiner religiösen Zugehörigkeit erwähnt. Es waren eben diese Einzeltäter. Kein Mitglied der christlich – deutschen Gesellschaft musste sich mit den Mitgliedern des NSU über askriptive Kollektivmerkmale identifizieren.

Wenn ein Flüchtlingsheim angezündet wird, erfährt man von den Tätern nur, ob sie der rechten Szene angehören oder nicht – wenn überhaupt. Keineswegs ist es aber der stereotypisierte Deutsche, der zugleich Angehöriger christlichen Glaubens ist. Nein, es ist der Einzeltäter mit einer bestimmten politischen Gesinnung.

Wird nun ein Jugendlicher mit Migrationshintergrund straffällig, ist er eben Migrant muslimischen Glaubens; sein Sozialverhalten wird zudem kulturalisiert und ethnisiert. Der „auffällige, straffällige und frauenfeindliche Migrant“ ist kein Individuum, sondern Teil eines Kollektivs und wird immer und ausnahmslos im migrationspolitischen Diskurs als Vertreter eines Kollektivs, zu dem etliche andere Menschen gehören, erwähnt. Er ist eben so, weil er eben Migrant und allen voran Muslim ist.

Solche Sichtweisen werden von Balibar als „Rassismus ohne Rasse“ bezeichnet. Längst geschieht der Rassismus über Kultur und Religion. Aber genau das ist eben Rassismus – der Rassismus im neuen Gewand.

Und ja, es gibt sie. Diese Stadtteile in den Ruhrgebietsstädten, die geprägt sind von Armut. Und dass diese überwiegend von Menschen bewohnt werden, die eben eine Zuwanderungsgeschichte haben, ist keine Frage ihrer Kultur oder Religion, sondern eine Soziale. Wird nun genau diese Realität verzerrt und werden all diese sozioökonomischen Probleme ethnisiert, begibt man sich – ob man will oder nicht – in eine Debatte, der Rassismus zugrunde liegt.

Aktuell warnen Politiker vor geistiger Brandstiftung. Sie warnen davor, dass sich rassistische Ressentiments gegen Zugewanderte und Flüchtlinge in Gewalttaten umwandeln. Um so achtsamer muss man demnach sein, ehe man Stoff für rassistische Diskussionen liefert und den Nährboden dafür bereitet. Um so mehr muss das doch für eine Polizistin gelten.