Arm durch Arbeit

Für Integrationskurse gibt es keine Lehrer

Deutschkurse seien für Flüchtlinge das allerwichtigste. Auch die Werte des Grundgesetzes sollten sie lernen in den Integrationskursen – etwa die Gleichheit von Mann und Frau. Es gibt nur ein Problem: wer soll das machen? Von Aglaja Beyes-Corleis

Man reibt sich verwundert die Augen: Deutschkurse seien das allerwichtigste und Voraussetzung, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, hört man allenthalben. Manchmal mischt sich die Binsenweisheit mit der Forderung nach „robuster Integration“, nach der Pflicht „unsere Sprache zu erlernen“. Zuweilen hört man auch Forderungen, was zu unterrichten sei: Die Werte des Grundgesetzes, die Gleichheit von Mann und Frau.

Nur: Diese Kurse, zu denen viele etwas zu sagen haben, existieren gar nicht! Die in den letzten Wochen zu uns gekommenen Flüchtlinge dürfen noch gar nicht an Integrationskursen teilnehmen, weil diese bislang anerkannten Flüchtlingen vorbehalten sind. Wer Glück hat, bekommt ein- oder zweimal in der Woche etwas Sprachhilfe von Ehrenamtlichen. Um einen regulären Sprachkurs handelt es sich dabei keineswegs.

___STEADY_PAYWALL___

Nun sollen nach dem Willen der Wirtschaft und der Regierung Menschen „mit sicherer Bleibeperspektive“ schneller in Integrationskurse. Das sind vor allem die Flüchtlinge aus Syrien, aber auch aus Afghanistan, Somalia und Eritrea. Bisher ist dies aber nur eine Willensbekundung. Hinzu kommt, dass die Volkshochschulen, über die bundesweit die meisten Integrationskurse ausgerichtet werden, erklären, es fehlten ihnen die Lehrkräfte, um die Kurse für einen weiteren Personenkreis zu öffnen.

Tatsache ist: Es gibt bundesweit praktisch weder verbeamtete noch angestellten Lehrer für erwachsene Deutschlerner. Schätzungsweise gibt es an die 20.000 Lehrkräfte für Integrationskurse, die indirekt über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bezahlt werden. Allerdings werden nicht die Lehrer, sondern die Stunden bezahlt, mit 2,97 € pro geleisteter Unterrichtsstunde und Teilnehmer, wovon neben den Lehrkräften auch Raummieten, Verwaltung etc. bezahlt werden.

Diese Lehrkräfte sind fast ausschließlich Honorarkräfte mit einem Unterrichtspension zwischen vier und 44 Wochenstunden. Wie vielen Lehrerstellen würde dies entsprechen? Niemand weiß es. Das BAMF ist nicht für die Anstellung zuständig. Träger, wie Volkshochschulen sind es auch nicht, weil diese „traditionell“ immer mit Honorarkräften gearbeitet haben.

Die Folge ist: Es fehlen Zehntausende Stellen, um den zu uns kommenden Menschen Deutsch beizubringen und niemand weiß, wie viele Stellen geschaffen werden müssen. Schlimmer noch: Stillschweigend wird davon ausgegangen, dass wir überhaupt keine Stellen schaffen müssen. Gefordert werden in der öffentlichen Diskussion lediglich Stellen in der Verwaltung, von Stellen für Lehrkräfte von Integrationskursen ist nirgends die Rede. Dagegen gibt es Schätzungen über die nötigen zusätzlichen Lehrerstellen für die Kinder der Flüchtlinge. Sollen nur die Kinder unterrichtet werden? Will man eine Generation lang warten, um die Menschen in den Arbeitsmarkt einzugliedern?

Das Ergebnis: Zigtausende Lehrkräfte unterrichten in Integrationskursen als Scheinselbständige. Da für sie keine Arbeitgeberanteile für die Rentenversicherung abgeführt werden, steuern viele auf die sichere Altersamt zu, ganz zu schweigen von ihrer täglichen Not, wenn sie sich auch bei Krankheit zur Arbeit schleppen müssen, da es für sie keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt. Wer kann, vermeidet es, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Junger, qualifizierter Nachwuchs ist trotz einschlägiger Bildungsgänge Mangelware.

Und wie sieht es mit den Bildungsinhalten aus? Die derzeitigen Integrationskurse führen bis zum Niveau B1 des europäischen Sprachenzertifikats, bei ehemaligen Analphabeten nur bis zum Niveau A2. Das reicht, um sich auf einfachem Niveau zu verständigen, für eine erfolgreiche Vermittlung in den Arbeitsmarkt reicht es im allgemeinen nicht. In vielen Berufen wird mindestens B2 verlangt, im akademischen Bereich C1.

Landeskunde ist fester Bestandteil des Unterrichts. Am Ende des Integrationskurses steht der Orientierungskurs, der auch über das Grundgesetz, Rechte und Pflichten, und somit auch über Fragen wie Gleichheit von Mann und Frau unterrichtet und mit einer schriftlichen Prüfung abschließt.

Ironisch mutet es dennoch an, wenn in der derzeitigen Debatte lauthals gefordert wird, was eine Lehrkraft im Integrations- oder Orientierungskurs alles machen muss. Muss sie das? Offiziell sind fast alle Lehrkräfte selbstständig. Damit dürften sie theoretisch selbst entscheiden, wie und was sie unterrichten. Müssen sie lehren, dass Staat und Religion in Deutschland getrennt sind? Ein Freiberufler könnte dazu antworten: „Ich fordere die Einführung des fliegenden Spaghetti-Monsters als Staatsreligion.“ Absurd? So absurd wie die geltende Auffassung, Lehrer in Integrationskursen seien selbstständige Freiberufler.