Blutschutzgesetz

Vor 80 Jahren erließ der NS-Staat seine antijüdischen Rassegesetze

Am 15. September 1935 verabschiedete der Reichstag das sogenannte „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes“. Diese „Blutschutzgesetze“ bildeten die juristische Grundlage für die Verfolgung der Juden. Wer Jude war bestimmte aber nicht das Blut, sondern die Religion.

Der Antisemitismus war tragendes Fundament der nationalsozialistischen Weltanschauung. Bereits in „Mein Kampf“ hatte Adolf Hitler gegen die Juden gehetzt. Doch eine rechtliche Grundlage zu deren Schikane und Ausgrenzung hatte der NS-Staat zunächst nicht. Das änderte sich am 15. September 1935: Der Reichstag verabschiedete das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Sie wurden bekannt unter dem Begriff „Nürnberger Gesetze“.

Die neuen Bestimmungen entstanden unter hohem Zeitdruck, weil Adolf Hitler den unspektakulären „Reichsparteitag der Freiheit“ in Nürnberg um einen Höhepunkt bereichern wollte. Auslöser war Reichsärzteführer Gerhard Wagner, der in einer Rede überraschend angekündigt hatte, der nationalsozialistische Staat werde in Kürze durch ein „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes die weitere Vermischung von Juden und Ariern verhindern“.

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Hitler griff das auf und ließ umgehend Gesetzentwürfe ausarbeiten. Nach nur 24 Stunden lagen die Papiere auf seinem Schreibtisch, wie der Nürnberger Historiker Siegfried Zelnhefer schreibt: „Die Art und Weise des Zustandekommens der Gesetzestexte war besonders typisch für das Regime. Der Führer befahl, er nahm die Stimmung seiner engsten Berater auf, über Nacht wurden die schamlosen Gesetze entworfen, der Reichstag nickte.“

Die Gesetze bildeten die juristische Grundlage für die Ausgrenzung und Verfolgung der Juden. Die infamen Bestimmungen wurden von den Nazis nach außen als „endgültige Regelung der Judenfrage“ dargestellt. Eine Täuschung: Viele Juden sahen in ihnen bereits den Gipfel ihrer Diskriminierung – ein vielfach tödlicher Irrtum.

„Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Aus dem NSDAP-Parteiprogramm.

Die NSDAP hatte schon in ihrem Parteiprogramm von 1920 festgehalten: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.“ Nach ihrer Machtübernahme ließen die Nationalsozialisten Taten folgen: Ein staatlich verordneter Antisemitismus begann mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ im April 1933. Der hier eingeführte „Arierparagraph“ diente noch hauptsächlich dem Zweck, jüdische Bürger aus dem Berufsleben zu drängen.

Wer nach NS-Definition als „Jude“ zu gelten hatte, wurde in der ersten Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 festgelegt. Doch diese Bestimmungen waren schwierig zu handhaben.

„Die Bestimmung der ‚Rasse‘ blieb im NS-Regime uneindeutig“, betont der NS-Experte Michael Wildt. Denn, so der Berliner Professor: „Entgegen allen biologistischen Bezugnahmen auf das ‚Blut‘ nahmen die Nationalsozialisten doch Zuflucht zur Religionszugehörigkeit, um Juden von Nicht-Juden zu unterscheiden.“

Insgesamt 13 Verordnungen wurden erlassen, die die Ausplünderung und Ausgrenzung der Juden legitimieren sollten. Schutz davor bot allein der „Ariernachweis“, der mit den Nürnberger Gesetzen vorgeschrieben wurde. Nach und nach wurde der Nachweis auf immer mehr Berufsgruppen ausgedehnt: Notare, Hebammen oder Apotheker benötigten ihn. Auch für die Gewährung von Darlehen, ja sogar zum Erwerb des Sportabzeichens war er notwendig.

Der „Ariernachweis“ bestand aus Heirats-, Geburts- oder Sterbeurkunden, die von Pastoren, Standesbeamten und Archivaren offiziell beglaubigt werden mussten. Um eine „arische“ Herkunft zu beweisen, mussten die Urkunden bis zu den Großeltern zurückreichen.

Das „Blutschutzgesetz“ verbot Eheschließungen zwischen Nichtjuden und Juden und stellte auch entsprechenden Geschlechtsverkehr unter Strafe. Auch wer als Jude „arische“ Dienstmädchen unter 45 Jahren beschäftigte oder die Hakenkreuzfahne hisste, konnte im Gefängnis landen. Bis zum Jahr 1940 wurden wegen des Verstoßes gegen die „Nürnberger Gesetze“ offiziell insgesamt 2.090 Menschen verurteilt, darunter einige zum Tode.

Im Gegensatz zu den „Reichsbürgern“, die „deutschen oder artverwandten Blutes“ sein mussten, konnten Juden nur noch „Staatsangehörige“ des Deutschen Reichs ohne politische Rechte sein. „Volljude“ war demnach, wer von mindestens drei jüdischen Großeltern abstammte. Als Bürger minderen Rechts galten auch „Mischlinge“ mit einem oder zwei jüdischen Großeltern, die der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten oder mit einem „Volljuden“ verheiratet waren.

Die Historikerin Cornelia Essner verweist auf die weitreichenden Folgen der neuen Bestimmungen: „Das ‚Reichssicherheitshauptamt‘ eignete sich zunehmend das Instrumentarium der mit den Nürnberger Gesetzen installierten staatlichen Klassifikationsmacht an und organisierte die Deportationen über den gesetzlichen Judenbegriff.“

Hans-Walter Schmuhl, Geschichtsprofessor aus Bielefeld, erläutert, der drohende Unterton in Hitlers Nürnberger Parteitagsrede sei zumeist überhört worden: Sollte der Versuch einer „gesetzlichen Regelung der Judenfrage“ abermals scheitern, hatte Hitler gesagt, dann müsse das Problem „zur endgültigen Lösung der nationalsozialistischen Partei übertragen“ werden. Hier deutete sich laut Schmuhl bereits an, dass die Nürnberger Gesetze nicht das Ende, sondern den Anfang der Unterdrückung und Verfolgung der Juden markierten. (epd/mig)