Koloniale Kontinuitäten

Kulturgüter in europäischen Museen

Koloniale Kontinuitäten zeigen sich nicht nur in Denkweisen und Weltbildern, sondern auch im deutschen Alltag. Die Initiative No Humboldt21! kritisiert, dass noch immer Kulturgüter in europäischen Museen ausgestellt werden, die aus einem kolonialen Unrechtskontext stammten.

Da sei zum Beispiel das Tangué aus dem Kamerun, das sich im Münchner Völkerkundemuseum befindet, berichtet Christian Kopp, Fachreferent für Dekolonisierung im Berliner Promotorenprogramm bei Berlin Postkolonial. Die Königsinsignie, eine hölzerne Bugverzierung, sei um 1884/85 nach Deutschland gebracht worden, nachdem deutsche Soldaten eine Stadt im Kamerun niedergebrannt und geplündert hätten. Der beteiligte deutsche Konsul und spätere Direktor des Münchner Völkerkundemuseums, Max Buchner, bezeichnet das Tangué in seinen Memoiren als seine „Hauptbeute“. Es gehörte Kum’a Mbape, dessen Enkel Kum’a Ndumbe es zurückfordert, und für dessen Nachfahren es ein Medium zwischen dem Diesseits und Jenseits darstelle, das nur einmal im Jahr zum Wasserfest der Öffentlichkeit gezeigt werde. Im Münchner Völkerkundemuseum wird es nun das ganze Jahr über ausgestellt.

Ein weiteres Beispiel sei der Thron Bamoun-Sultans Ibrahim Njoya aus Foumban in Kamerun, der im Ethnologischen Museum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin zu sehen ist. Laut der Beschreibung des Ethnologischen Museums handelt es sich um eine Schenkung, die im Kamerun üblich gewesen sei, um diplomatische Beziehungen zu festigen. Der Verein No Humboldt21 bezweifelt das. Der Sultan habe eine Kopie anfertigen lassen und musste das Original verschenken. Um ihm die neuen Machtverhältnisse nochmals deutlich zu machen, sei ihm ein lebensgroßes Porträt des Kaisers Wilhelm II. geschenkt worden, kritisiert NoHumboldt21 die Umstände der „Schenkung“.

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„Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wolle einzelne Fälle von Kulturraub im Kontext des Kolonialismus prüfen. Diese Aussage impliziert aber, dass ein Großteil der Gegenstände unter fairen Bedingungen erworben sei. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass Völker ihre Masken, Gottesfiguren oder Kunstschätze freiwillig verschenkten oder billig verkauften“, sagt Kopp. Im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind auch etwa 500 wertvolle Bronzestatuen, die aus Benin, Hauptstadt des Edo-Königreiches, dem heutigen Nigeria stammen. Während der Zerstörung von Benin durch britische Soldaten seien sie unter fragwürdigen Umständen nach Großbritannien gekommen. „Obwohl sich der Großteil der Statuen in Großbritannien befindet, sind immer noch mehr Bronzestatuen aus Nigeria im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin als in Nigeria selbst“, berichtet Kopp. „Etwa 10 dieser Statuen werden ausgestellt, der Rest wird im Keller gelagert“, meint der Historiker.

„Es handelt sich nicht um Kulturgüter, die im Austausch mit anderen Ländern oder Museen in Deutschland ausgestellt werden, sondern um Gegenstände, die direkt während des Kolonialismus geklaut wurden, oder unter problematischen Bedingungen nach Europa kamen, das heißt durch Gewaltanwendungen oder Drohungen erpresst wurden oder durch den Bruch mit sogenannten Verträgen oder andere Betrügereien erbeutet wurden“, sagt Tahir Della, Vorsitzender des Vereins Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. Und: „Die Gegenstände sind nicht nur wertvoll, sondern nicht selten in einem religiösen Kontext von Bedeutung oder stellen Gottesfiguren in den jeweiligen Kulturen dar.“

Laut Senat habe das Ethnologische Museum die Herkunft der rund 500.000 Gegenstände seiner Sammlung noch immer noch nicht systematisch und detailliert erforscht. „Das Ethnologische Museum bemüht sich nach eigenen Bekundungen zwar darum, die Provenienzforschung voranzubringen und mit dem kolonial-rassistischen Blick zu brechen, aber uns ist das nicht genug“, äußert Della.

Im Falle der Bronzestatuen aus Nigeria erklärte der Senat, dass es für die Rückgabe dieser Sammlung keine völkerrechtliche Grundlage gebe. Tatsächlich greift das Internationale Völkerrecht nur bei Kulturgütern, die nach 1954 bzw. 1970 gestohlen wurden. Es existieren zwei internationale Vorgaben: Die Haagener Konvention zum Schutz von Kulturgütern bei bewaffneten Konflikten (1954) und die UNESCO-Konvention über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (1970). Der Internationale Museumsrat veröffentlichte 1986 einen Leitfaden für ethische Richtlinien „Code of Professional Ethics“ (ICON). Darin steht: „Wenn ein Herkunftsland oder -volk die Rückgabe eines Objektes oder Gegenstandes erbittet, von dem belegbar ist, dass es/er […] auf anderem Wege übereignet wurde und es/er zum kulturellen oder natürlichen Erbe dieses Landes oder Volkes gehört, sollte das betroffene Museum umgehend verantwortungsvolle Schritte einleiten, um bei der Rückgabe zu kooperieren, sofern es rechtlich dazu befugt ist.“

Die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland kritisiert, dass sich Museen noch immer hinter rechtlichen Konzepten versteckten: „Zwar gibt es Anfragen von den Linken und den Grünen an die Bundesregierung, aber es wird immer darauf verwiesen, dass überhaupt nicht klar sei, wer überhaupt ein Recht auf Rückforderung hat. Ganz dubios wird dann auf Zeit gesetzt, dass die Dinge eben im Sande verlaufen. Das ist eine ganz generelle politische Linie. Nur langsam wird erkannt, dass man auch selber eine Verantwortung benehmen muss. Die Einrichtungen müssen sich selbst auf den Weg machen, selbst Verantwortung zeigen und fragen „Gibt es Gegenstände, die in einem Unrechtskontext erworben wurden, gibt es die Möglichkeit Dinge zurückzugeben oder Gegenstände in den Ländern selber auszustellen?“

In Fällen für vor 1954 unrechtmäßig eingeführte oder erworbene Kulturgüter, treten an die Stelle internationaler Gesetze, diplomatische Beziehungen. Diese sollen durch ein Kontrollgremium der UNESCO geregelt werden. Die Krux: Nur Mitgliedsstaaten der UNESCO können es in Anspruch nehmen. Und: Es besitzt keinerlei rechtlichen Anspruch. Für Privatpersonen, Volksgruppen, Stämme oder Regionen ist es also schwierig den Gegenstand zurückzuerhalten. Staaten forderten ihre Kulturschätze allerdings erst gar nicht zurück, um die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland nicht zu gefährden, meint Christian Kopp.

Ein Beispiel für eine gelungene Rückführung von gestohlenem Kulturgut ist die Steinfigur aus dem heutigen Bolivien, ein Zeugnis der Pukara-Kultur, die von indigenen Völkern als Darstellung der Gottheit Ekeko angesehen wird. Der Schweizer Naturforscher Johann Jakob von Tschudi kaufte sie 1858 in Tiwananku, Bolivien, für eine Flasche Cognac. Der unfaire Handel kam zustande indem er die indigene Gruppe betrunken machte. Ein Nachfahre von Tschudi schenkte die Figur dem Historischen Museum in Bern, wo sie in der Ausstellung «Indianer – Vielfalt der Kulturen in Amerika» zu sehen war. Rückgabeverhandlungen zwischen der Botschafterin des Plurinationalen Staates Elizabeth Salguero Carrillo, dem Historischen Museum in Bern, indigenen Geistlichen und bolivianischen Regierungsbeauftragten führten dazu, dass la Illa del Ekeko im Jahr 2014 nach Bolivien zurück kam.

Ein weiterer Kritikpunkt der Initiative NoHumboldt21! ist der vom Bundestag beschlossene Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldtforum und der geplante Umzug des Ethnologischen Museums von Dahlem am Stadtrand Berlins in das Berliner Schloss, der ehemaligen Residenz der Hohenzollern. Fragt man Besucher des Museums, so sind viele mit der Sammlung einverstanden: „Die Ausstellung hat schon ihre Berechtigung, da sie den Reichtum und die Vielseitigkeit anderer Kulturen zeige und so zu einem Dialog zwischen Kulturen beitrage“, meint ein Besucher des Ethnologischen Museums. Und: „Die Konzeption zielt auf Kolonialgeschichte als Verflechtungsgeschichte ab, die zwar trennt, aber auch verbindet. So soll wohl die Erinnerung an sie wenigstens zu einem interkulturellen Dialog beitragen.“

Kritiker des Humboldtforums sehen in der musealen Inszenierung von außereuropäischen Kulturen als das Fremde und Andere das Problem, da Museen auch immer Orte der Identitätsstiftung und der Repräsentation von Geschichtsbildern seien. Dies müsse stärker kritisch reflektiert werden: „Das Problematische an den Sammlungen ist gar nicht mal, dass Objekte gezeigt werden, die aus einem anderen Kulturkontext kommen, das Problem erwächst sich ja aus den Tatsachen der Geschichte, also wieso sind die Gegenstände in Europa oder Deutschland und was wird damit transportiert, dass sie immer noch hier sind. Es wird keine authentische Perspektive von den Herkunftsländern gezeigt, sondern das von Europa gezeigte sogenannte Andere, also der Blick auf außereuropäische Kulturen.

Dieser Blick ist nach wie vor geprägt von ganz vielen problematischen Aspekten, also ganz im Kern, wird der kolonial-rassistische Blick in den Ethnologischen Museen oder Völkerkundemuseen tradiert und fortgesetzt“, sagt Tahir Della. Wie das Goethe-Institut in Kenia mitteilte, bot Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, am 22. Februar 2015 bei einer Podiumsdiskussion von kenianischen und deutschen Kulturschaffenden im Nationalmuseum in Nairobi an, Teile der Ausstellung für einen längeren Zeitraum an Museen in aller Welt, darunter auch das Nationalmuseum in Nairobi, auszuleihen. Ob eine Leihgabe der Gegenstände an die Herkunftsländer den Kritikern des Humboldtforums genug ist? Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland meint, dass die Gegenstände in den Museen der Herkunftsländer genauso gut aufgehoben wären.