Ramadan

Wer als Muslim nicht fastet, der outet sich nicht gerne

Die Familie Begiç fastet im Ramadan, hängt es aber nicht an die große Glocke. Aber nicht alle Muslime fasten dezent: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Gläubigste im ganzen Land? Von Canan Topçu

Fahris schaut immer wieder auf sein Smartphone. Nicht etwa, weil er Chat-Nachrichten von Freunden erwartet, sondern wegen der genauen Uhrzeit. Er sitzt mit seinem Bruder und seinen Eltern am gedeckten Tisch und sagt schließlich aufgeregt: „Jetzt!“ Mit diesem Ausruf beendet der 14-Jährige das Fastens, und das ist an diesem Abend in Frankfurt um 21.36 Uhr. Ab jetzt darf gegessen und getrunken werden – bis kurz nach 3 Uhr des nächsten Tages.

Fahris und Mahir löschen als erstes mit hausgemachter Limonade ihren Durst. Ihre Eltern Amira und Vahidin Begic beißen jeder in eine Dattel. Den Überlieferungen nach soll der Prophet Mohammed das Fasten mit einer Dattel beendet haben. An diese Tradition halten sich viele Muslime. Bei Familie Begic ist das „Iftar“, das Mahl am Ende des Fastentags, kein besonders opulentes. Es soll im Ramadan nicht darum gehen, üppig zu speisen. Es gibt Hühnersuppe, Hackbällchen und Blätterteig-Auflauf. Offenbar sind alle schnell satt. Nachschlag nimmt nämlich keiner, aber Wasser wird viel getrunken.

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Der islamische Kalender orientiert sich am Mond, so dass sich die Monate im Zyklus des gregorianischen Kalender jährlich um elf bis zwölf Tage verschieben. Daher fällt der Ramadan diesmal in die Sommerzeit. Fahris und sein drei Jahre jüngerer Bruder haben auch an besonders langen Fastentagen nichts gegessen und getrunken – von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang rund 18 Stunden lang. Sie freuen sich sichtlich darüber, dass sie durchgehalten haben. „Das Fasten gehört zu unserer Religion“, erklärt Fahris. Darüber bekomme er ein Gespür für die Hungrigen und Bedürftigen. Das Standhalten ist für den Jungen auch eine Form von mentalem Training; es helfe ihm, sagt er, bei anderen Hürden nicht so schnell aufzugeben.

Amira und Vahidin Begic stammen aus Bosnien und haben auch schon dort ihre Religion gelebt, aber ohne es aber an die große Glocke zu hängen, „weil man seinen Glauben nicht zur Schau stellen soll“. Daran halten sich die beiden auch in Deutschland, wo sie seit mehr als 20 Jahren leben. Amira Begic trägt ihre dunklen gewellten Haaren offen und kehrt nicht bei jeder Gelegenheit heraus, dass sie Muslima ist, sie verschweigt es aber auch nicht. „In unserem Dorf haben, wenn überhaupt, nur die älteren Frauen ihr Haar verhüllt“, sagt die Einundvierzigjährige.

Die Begics führen ein unaufgeregtes und unauffälliges Leben. Das Ehepaar betet, wenn möglich fünf mal am Tag, ab und auch auch in der nahgelegenen Moschee der bosnischen Gemeinde. Vahidin Begic ist Holztechniker, seine Frau arbeitet in der Frankfurter Uni-Klinik . Die Zahnärztin freut sich über Kollegen, die während des Ramadan in ihrem Beisein nichts essen. Eine liebenswürdige Geste sei das. „Weil ich faste, müssen andere aber keine Rücksicht auf mich nehmen.“ Der Ramadan, sagt Amira Begic, sei für sie ein Monat mit besonderer Aura. „In dieser Zeit fühle ich mich spirituell gestärkt.“

Eben diese spirituelle Erfahrung ist der eigentliche Sinn des Fastens, so der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide. Zu beobachten sei aber eine Aushöhlung des religiösen Rituals, so dass die Inhalte wie eben Spiritualität, Demut und Zweisamkeit mit sich und Gott auf der Strecke bleiben. Das hängt wohl auch mit dem falsch verstandenen Zweck des Fastens zusammen, dass Gott einem wohlgesonnener werde, wenn man faste. „Gott selbst hat, wie dies der Prophet Mohammed betonte, gar nichts davon, wenn man den ganzen Tag nichts isst und trinkt. Es geht nicht um Gott“, sagt Professor Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster. Wer also fastet, um Bonuspunkte fürs Jenseits zu sammeln, der macht etwas falsch.

Bisher haben Fahris und Mahir vor allem am Wochenende gefastet. Unter der Woche steht die Schule im Mittelpunkt. Die Jungen sollen sich auf den Unterricht konzentrieren. Lehrer beklagen oft ein „Wettrennen ums Fasten“ unter muslimischen Schülern „Mir kommt es vor, als ob die fastenden Schüler immer jünger werden. Früher hatte ich unter den Sechstklässlern gar keine, in diesem Jahr schon“, berichtet eine türkischstämmige Lehrerin aus Köln. Pädagogen und Schulleiter wissen oftmals nicht, wie sie in solchen Situationen reagieren sollen. Kein Lehrer will zwar intolerant sein, so mancher findet es aber trotzdem problematisch, dass auch jüngere Schüler fasten. Eltern, die ihre Kinder zum Fasten zwingen, gibt es gewiss, aber auch solche wie Amira und Vahidin, die ihren Nachwuchs über das freiwillige und gemeinsame Leben von Ritualen an ihren Glauben heranführen möchten.

Inzwischen wird jedes Jahr zu Radaman auch über gesundheitliche Schäden durchs Fasten debattiert. Ärzte klagen über kollabierende muslimische Patienten und warnen vor Gefahren durch Flüssigkeitsmangel; Experten wie etwa Ilhan Ilkılıç vertreten aber eine andere Meinung. Fasten sei nicht von vornherein schädlich, es müsse aber davor und danach reichlich gegessen und getrunken werden, meint der muslimische Mediziner, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrats ist.

Für Kranke, Schwangere, menstruierende Frauen, Kinder bis ins Pubertätsalter, alte oder kranke Menschen gilt laut Koran das Gebot des Fastens nicht. Nur halten sich nicht alle daran – sei es wegen der Bonuspunkte für das Jenseits, wegen des verinnerlichten schlechten Gewissens oder ob des Gruppenzwangs.

Zwar ist zu hören, dass es im Glauben keinen Zwang gebe und kein Druck ausgeübt werden dürfe. Theorie und Praxis klaffen aber auseinander. Fakt ist: Wer als Muslim nicht fastet, der outet sich nicht gerne. Die soziale Kontrolle erfolgt sogar innerhalb der Familien. Dieser Druck ist in islamischen Ländern noch viel stärker, wo sogar juristische Strafen verhängt werden, wenn im Ramadan während des Tages öffentlich gegessen und getrunken wird. „Im Islam obliegt es nur Gott zu richten, der Mensch schuldet nur seinem Schöpfer Rechenschaft“, erklärt Mouhanad Khorchide. Der Ramadan dürfe nicht zu einem Machtdiskurs werden, indem Menschen über die Religiosität anderer Menschen urteilen.

Noch etwas anderes ist in muslimischen Communities hierzulande zu beobachten: eine Art von Wettrennen darum, der gläubigere Mensch zu sein. Öffentlich wie etwa in sozialen Netzwerken werden Gebete und Erlebnisse während des Fastens ausgetauscht und sich gegenseitig mitgeteilt, wo man mit wem am Iftar-Essen teilgenommen hat. Als Zeichen der Ankerkennung als Muslime wird zudem interpretiert, wenn etwa Politiker, Parteien oder andere Institutionen zum Fastenbrechen einladen oder umgekehrt hochrangige Personen den Iftar-Empfängen der Verbände und einzelner Gemeinden folgen. Professor Khorchide stellt zur Diskussion, ob es nicht sinnvoller wäre, Einladungen für öffentliche Empfänge nicht in der Fastenzeit, sondern während der Festtage auszusprechen – seitens der Muslime an die Nicht-Muslime wie umgekehrt von der Politik und Institutionen an die Muslime. Das Ramadan-Fest gemeinsam mit Muslimen und Nichtmuslimen zu feiern würde widerspiegeln, dass der Monat Ramadan nicht nur eine muslimische Angelegenheit ist und im Ramadan selbst bliebe möglichst viel Zeit für eine Zweisamkeit mit Gott.

Amira Begic sagt, in der Zeit des Ramadans spüre sie – auch über das Fasten – die Nähe zu Gott intensiver und fühle sich dadurch gestärkt. Eben diese Erfahrungen möchte die Mutter ihren Söhnen ermöglichen. Vom Zwang hält sie nichts.