Pegidisten

Wenn „besorgte Bürger“ den Einsatz von Zyklon B fordern

Die deutsche Politik-Elite scheint Angriffe auf Asylbewerber weniger ernst zu nehmen. Dabei wäre es höchste Zeit sich dem Problem zu stellen, denn die fast schon professionellen Agitationsstrukturen der rechtsextremen „besorgten Bürger“ sind längst etabliert und funktionieren reibungslos. Von Abraham Goldstein

Es ist nur wenige Monate her, da bescheinigte der Bundesinnenminister Thomas de Maiziere den marschierenden Pegidisten in Dresden, „nur besorgte Bürger“ zu sein und retuschierte dabei subtil die sie eskortierenden Neonazis weg.

Der scheinbar von Montag zu Montag wachsende Tross der selbsternannten Verteidiger des (erfundenen) „christlich-jüdischen“ Abendlandes gegen das Fremde hatte in seiner Blütezeit sogar die Aufmerksamkeit der zweiten Regierungspartei auf sich gezogen, und so traf sich der Vizekanzler Deutschlands höchstselbst mit Anhängern der PEGIDA im Januar in Dresden zu einem Dialog – schließlich hat die SPD aufgrund ihres Parteimitglieds Thilo Sarrazin Erfahrung mit Diskutanten aus diesem gesellschaftspolitischen Spektrum.

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Seitdem jedoch die bürgerliche Mehrheit in Deutschland nicht mehr von einer Minderheit mit „Wir sind das Volk!“ als zu ihnen zugehörig bezeichnet werden wollte und selbst bundesweit auf die Straße ging – und zwar mit einer deutlich größeren Teilnehmerzahl als in Dresden – sind die verständnisvollen Sprüche aus den Regierungsparteien merkwürdigerweise verstummt. Man hüllt sich stattdessen in Schweigen.

Sicherlich wäre es peinlich (aber wenigstens ehrlich), nach gerade einmal 6 Monaten eine Kehrtwende zu vollziehen und die Pegidisten öffentlich zu geißeln. Aber es wäre notwendig, um den geifernden Fanatismus der besorgten Protestler der Öffentlichkeit als Gefahr klar zu machen. Denn es brannten bereits mehrere Asylunterkünfte, es wurden bereits Asylbewerber und „nicht-deutsch“ aussehende Menschen angegriffen und verletzt.

Die deutsche Politik-Elite scheint hingegen die Ereignisse weniger ernst zu nehmen – lediglich der Bundespräsident äußerte seine Meinung über die Übergriffe auf Flüchtlingsheime und nannte sie „widerwärtig“. Äußerungen des dialogbereiten Vizekanzlers Gabriel zum Problem der Angriffe auf Asylbewerber sind: nicht bekannt.

Dabei wäre es höchste Zeit sich dem Problem zu stellen, denn die fast schon professionellen Agitationsstrukturen der rechtsextremen „besorgten Bürger“ sind längst etabliert und funktionieren reibungslos, lassen sich manchmal sogar nur durch Inkonsistenzen in den erfundenen Geschichten der Pegidisten über vermeintliche böse und kriminelle Taten von Flüchtlingen aufdecken: Ein beliebter „Hoax“ ist beispielsweise der angebliche Fund von „weggeworfenen Lebensmitteln“ durch Asylbewerber – zum „Beweis“ stellt ein „besorgter Bürger“ ein Foto in die sozialen Netzwerke, auf dem einige verpackte (!) Lebensmittel auf einer Mülltonne liegen. Die Botschaft: Seht her, wie diese undankbaren Flüchtlinge mit unserem Geld umgehen!

Ein anderer bekannter Hoax ist der angebliche Diebstahl von Einkäufen aus einem Auto einer ehrbaren deutschen Hausfrau auf einem Supermarktparkplatz, als sie ihren Einkaufswagen wegbringt. Diese und andere Märchen kursieren identisch oder in leicht veränderter Form auf allen sozialen Netzwerken in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nur wer sich die Mühe zur Reflektion und der Suche nach Details macht, wird diese Hoaxe als das erkennen, was sie sind: als eigens erfundene Geschichtchen zur billigen Agitation und xenophobischer Hetze.

Wie enthemmt diese Pegidisten, PI-Nazis und sonstige Rechtsextreme bereits sind, zeigen schmerzhafte Postings im Internet von „besorgten Bürgern“ aus dem sächsischen Freital und/oder Kreuzzüglern, die sich um das Wohl und den Erhalt der arischen Rasse sorgen – und als Vernichtungsmittel gegen Flüchtlinge zum altbewährten „Zyklon B“ greifen wollen.

Freital, Postings von „Besorgten Bürgern im Internet

Freital, Postings von „Besorgten Bürgern im Internet

Spätestens bei solchen öffentlichen Postings stellt sich die Frage, warum Politiker so dialogbereit waren und die Justiz sowie die Polizei offenbar wegschauen. Möglicherweise ändert sich das ja, wenn sie dort selbst mit dem Tode bedroht werden.