Bange Hoffnung

Wie afrikanische Flüchtlinge auf Sizilien ankommen

In Schlangen gehen die Menschen aus Somalia, Eritrea, Mali oder Gambia von Bord des Schiffes und setzen erstmals ihren Fuß auf europäischen Boden. Ihre bange Erwartung trifft auf ein reges Treiben an der Anlegestelle. Der logistische Aufwand ist enorm.

Der Notruf erreicht die italienische Küstenwache am Morgen um 8 Uhr: Vier Schlauchboote mit afrikanischen Flüchtlingen sind gut 30 Seemeilen vor der libyschen Küste in Not geraten. Bis zum Abend können alle gerettet werden. 454 Menschen nimmt die Guardia Costiera an Bord ihres Schiffes „CP 940“, darunter ein drei Monate altes Baby. Die Afrikaner werden in den sizilianischen Hafen Pozzallo gebracht, wo sie am nächsten Tag eintreffen. Die aufwendige Prozedur der Erstaufnahme läuft an.

In Schlangen gehen die Menschen aus Somalia, Eritrea, Mali oder Gambia von Bord des Schiffes und setzen erstmals ihren Fuß auf europäischen Boden. Viele haben in Libyen lange auf ihre Überfahrt gewartet und wirken gezeichnet von den Strapazen und der Gewalt, die sie erlebt haben.

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Ihre bange Erwartung trifft auf ein reges Treiben an der Anlegestelle. Die schlichte Kleidung der dunkelhäutigen Flüchtlinge steht in starkem Kontrast zu den weißen Schutzanzügen der Ärzte und den Uniformen von Polizei und Küstenwache. Aber auch Hilfsorganisationen und kirchliche Gruppen sind beteiligt. Das erprobte Zusammenspiel der beteiligten Helfer wirkt unaufgeregt und routiniert. Es überwiegen freundliche Gesten und Gesichter.

Der logistische Aufwand ist enorm. Die Asylsuchenden werden bereits auf dem Schiff medizinisch untersucht, vor allem um Menschen mit ansteckenden Krankheiten von anderen zu trennen. Danach folgen weitere Medizin-Checks. Allein 30 Ärzte sind beteiligt. Einige Verletzte werden mit Krankenwagen zur Behandlung gebracht. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Schwangeren, Familien und Minderjährigen, die ohne Angehörige reisen.

Einer der Neuankömmlinge ist Marvellous Igbinomwanhin. Der Nigerianer, der drei auffällige Narben im Gesicht hat, sagt, er sei 25 Jahre alt. Er sei Elektriker und hoffe auf ein besseres Leben, sagt er mit unsicherem Blick in die Halle des Aufnahmelagers, die mit Matratzen ausgelegt ist. In seiner Heimat gebe es kaum eine Zukunft für junge Leute. „Ich will, dass meine Familie stolz auf mich ist.“

Was ihn in der unbekannten Umgebung erwartet, weiß Igbinomwanhin nicht. Auch über seine Erlebnisse auf dem langen Weg nach Europa spricht er nur vage. Er ist zunächst einmal froh, es hierher geschafft zu haben. Andere wirken geradezu euphorisch. Das ändere sich meist nach ein paar Tagen, sagen Experten. Dann zeige sich, wie traumatisiert viele seien.

Die Helfer müssen entscheiden, wer ins örtliche Erstaufnahmelager gebracht wird und wem eine längere Busreise in eine andere Stadt zugemutet werden kann. Das Lager in Pozzallo sei mit den riesigen Flüchtlingszahlen hoffnungslos überfordert, sagt die Vizepräfektin der sizilianischen Provinz Ragusa, Rosanna Mallemi, die an diesem Tag selbst in den Hafen gekommen ist. Eigentlich könnten in Pozzallo nur 200 Menschen für einige Tage aufgenommen werden, manchmal seien es aber auch 500.

Zusammen mit Mallemi besucht auch eine Gruppe von nordrhein-westfälischen Politikern und Vertretern der evangelischen Kirchen im Rheinland und in Westfalen den Hafen. Sie machen sich in dieser Woche ein Bild von der Flüchtlingssituation in Italien.

Eigentlich sollen die Menschen nur einige Tage in den Erstaufnahmelagern bleiben. Doch die steigenden Flüchtlingszahlen überfordern immer wieder die Möglichkeiten, so dass manche auch Wochen oder gar Monate in den Lagern ausharren. Auf Lampedusa ist die Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 380 Menschen ausgelegt, es waren aber auch schon 1.600 Afrikaner dort untergebracht.

Der Präfekt von Ragusa, Annunziato Vardè, spricht von einer komplexen und schwierigen Herausforderung. Im gesamten letzten Jahr seien 28.000 Flüchtlinge in Pozzallo angekommen, zurzeit seien es allein in dem Hafen der 20.000-Einwohner-Stadt mitunter mehr als 1.000 am Tag. Italien brauche die Unterstützung aller europäischen Staaten, fordert Vardè. Die bisherige EU-Regelung, nach der das Erstaufnahme-Land für das Asylverfahren zuständig ist, sei jedenfalls gescheitert. (epd/mig)