14.000 unbegleitete Kinder

Forscher mahnen Konzept für minderjährige Flüchtlinge an

Mehr als 14.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge halten sich in Deutschland auf. Viele Kommunen sind überfordert. Das Kindeswohl kann in einigen Bundesländern nicht mehr beachtet werden. Deshalb schlagen Forscher Alarm, aie fordern ein Konzept.

Wissenschaftler und Praktiker haben ein Gesamtkonzept für die Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge gefordert. „Seit zwei Jahren gibt es eine krisenhafte Entwicklung“, sagte Irmela Wiesinger vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge Ende Mai in Frankfurt am Main. Infolge der stark steigenden Ankunftszahlen seien die Einrichtungen überlastet. Das Kindeswohl könne in einigen Bundesländern nicht mehr im gesetzlich geforderten Maß beachtet werden, sagte sie auf einer Fachtagung.

Mehr als 14.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hielten sich nach Wiesingers Angaben Ende des vergangenen Jahres in Deutschland auf. Die Haupt-Herkunftsländer seien Afghanistan, Somalia und Eritrea. Zwei Drittel der Einrichtungen der Jugendhilfe hätten keine Erfahrung mit diesem Personenkreis, sagte Wiesinger.

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Nach Angaben der Psychologin und Professorin für Soziale Arbeit der Fachhochschule Frankfurt, Ilka Quindeau, hat das Bundesjugendministerium für Juni einen Gesetzentwurf zur Verteilung der jungen Flüchtlinge auf die Bundesländer ab 2016 angekündigt. Problematisch sei es, wenn Bundesmittel „per Gießkanne“ über die Länder verteilt und minderjährige Flüchtlinge Kommunen zugewiesen würden, die keine Ahnung von der Betreuung hätten, sagte Quindeau. Dann sei die Orientierung am Kindeswohl gefährdet. Besser sei es, die Mittel auf die Kommunen zu konzentrieren, die sich Kompetenzen erarbeitet hätten.

Quindeau und Wiesinger forderten ein Gesamtkonzept mit einer Vernetzung der Jugend- und Ausländerbehörden des Landes, der Kreise und Kommunen, der freien Wohlfahrtsverbände und Einrichtungsträger. Diese sollten gemeinsam eine „kompetente Aufnahmestruktur“ für minderjährige Flüchtlinge erarbeiten und die Standards der Jugendhilfe gewährleisten. Dazu gehöre der Aufbau von Kompetenzzentren, die Aus- und Weiterbildung von Betreuern, eine psychotherapeutische Versorgung der Jugendlichen und ihre Beschulung von Anfang an sowie die Einbeziehung von ehrenamtlichen Helfern.

Die medizinische Erstuntersuchung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sei häufig durch Verständigungsschwierigkeiten behindert, berichtete die Ärztin Meike Huber vom Frankfurter Gesundheitsamt. Die Hälfte der Jugendlichen brauche dringend eine Zahnbehandlung, jeder fünfte habe Hauterkrankungen, oft von Gefängnisaufenthalten etwa in Libyen. Auch jeder Fünfte habe Erreger im Stuhl infolge der schlechten Ernährung. Häufig seien Brüche oder Schnittverletzungen von der Flucht. Dazu kämen Magenbeschwerden, Angstzustände und Schlafstörungen.

60 bis 80 Prozent der jungen Flüchtlinge sind nach Angaben von Quindeau traumatisiert. Die meisten schwiegen jedoch darüber und verhielten sich „auffällig unauffällig“. Daher würden ihre psychischen Belastungen von den Betreuern leicht unterschätzt. Manche erinnerten sich immer wieder an traumatische Erlebnisse, zögen sich sozial zurück oder seien reizbar und aufbrausend. Das Überleben einer traumatisierenden Situation erzeuge im Nachhinein Scham- und Schuldgefühle.

Demgegenüber wiesen die jungen Flüchtlinge auch eine hohe Widerstandskraft und großen Optimismus auf, sagte die Psychologin. Die Aufnahme sollte ihre Ressourcen stärken und ihnen erlauben, ihre psychische Verfassung an einem sicheren Ort zu stabilisieren. Außerdem sollten sie eine Zukunftsperspektive entwickeln können. (epd/mig)