Arm durch Arbeit

Fast alle Lehrer sind jetzt Menschen „Sans Papiers“

Seit Wochen streiken angestellte Lehrer. Verglichen mit den Verbeamteten spricht die Presse von ihnen als „Lehrer zweiter Klasse“. Worüber nicht berichtet wird, sind Lehrer an Integrationskursen – die dritte Klasse. Wohin das führt, zeigt Aglaja Beyes in einem Zukunftszenario. Wir schreiben das Jahr 2030.

Nur noch ein Drittel der arbeitenden Menschen hat einen normalen Arbeitsvertrag. Alle anderen sind 1,-Euro-Jobber, Dauer-Praktikanten und Scheinselbständige.

Besonders schlimm hat es die Lehrer erwischt. Barbara ist eine von ihnen. „Ich arbeite täglich acht bis zwölf Stunden in meiner Schule, unterrichte Deutsch und Französisch und bei Bedarf Geschichte und Sozialkunde“, erzählt sie. „Dafür bekomme ich 20,- Euro pro Unterrichtsstunde Brutto. Wir sind Freiberufler und wurden über die Volkshochschule hierher vermittelt. Alle arbeiten so wie ich, ausgenommen der Chemie- und Physiklehrer. Die sind als einzige noch fest angestellt, weil die Wirtschaft mit Abwerbung droht.“

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Vorboten dieser Entwicklung gab es in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Ab 2005, mit Einführung der Integrationskurse für Zuwanderer und Flüchtlinge, kam der Quantensprung. Erstmals arbeiteten flächendeckend zigtausende Lehrer im Staatsauftrag Vollzeit und weisungsgebunden und ohne eine Chance auf Festanstellung. Wer dagegen klagte, bekam keine Aufträge mehr. Statt die sofortige Festanstellung zu verlangen, forderten Oppositionsparteien und Gewerkschaften noch 2015 lediglich höhere Honorare.

„Die Integrationskurse sind eine Erfolgsgeschichte“ verkündeten die Regierungsparteien damals. Kurz darauf beschloss man, das System Schritt für Schritt auch auf die allgemeinbildenden Schulen auszudehnen. Das ist billig. Als erstes ging der Sprachunterricht in die Verantwortung freier Träger, den Kooperationspartnern der Schulen. „So wie es mir heute geht, so ging es schon vor einer Generation meinen Kollegen in der Weiterbildung“, erinnert sich Barbara. Doch die Warnungen von damals nahm kaum jemand ernst. Im Gegenteil: Diese „Erfolgsstory“ wurde ausgeweitet.

Die Folgen? „Wer krank ist, bekommt kein Geld. Darum schleppen wir uns krank in den Unterricht, solange, bis die Eltern unserer Kinder kommen, uns ins Bett schicken und selbst den Unterricht übernehmen.“ Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Krankenversicherung erscheinen als blasse Erinnerungen an die Zeit eines Sozialstaates. „Zum Glück gibt es „Ärzte ohne Grenzen“ mit ihrer Notfallkrankenversorgung für Menschen „San Papiers“, für die Flüchtlinge ohne Aufenthaltspapiere und für uns, die Lehrer ohne Arbeitspapiere.“