Bundesverfassungsgericht

Pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen verstößt gegen Religionsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hat die ungleichbehandlung des Islam gegenüber anderen Religionen gekippt, ebenso das pauschale Kopftuchverbot in NRW. Schulministerin Löhrmann hat bereits Konsequenzen angekündigt, betroffen sind aber auch andere Länder.

Das Bundesverfassungsgericht hat das in vielen Bundesländern geltende pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen an deutschen Schulen für unzulässig erklärt. Nach einer am Freitag vom Verfassungsgericht in Karlsruhe veröffentlichten Grundsatzentscheidung verstößt das Verbot gegen die Religionsfreiheit. (AZ: 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10) Konkret ging es um Fälle in Nordrhein-Westfalen. Nicht nur dort wurde die Entscheidung des Gerichts begrüßt. Muslime und Kirchenvertreter wie auch Politiker von SPD, Grünen und Linken werten sie als Stärkung der Glaubensfreiheit.

Die Karlsruher Richter entschieden über die Klagen zweier muslimischer Pädagoginnen aus Nordrhein-Westfalen. Der Beschluss dürfte aber auch unmittelbare Auswirkungen auf sieben weitere Bundesländer haben. Diese hatten nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003 gesetzlich geregelt, dass Lehrkräfte aus Gründen der weltanschaulichen Neutralität im Unterricht keine Kleidungsstücke als Ausdruck ihres Glaubens tragen dürfen.

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Konkrete statt abstrakte Gefahr

Künftig solle keine abstrakte Gefahr für Neutralität und Schulfrieden mehr genügen, um ein Kopftuchverbot zu begründen, entschieden die Verfassungsrichter. Vielmehr müsse eine „hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität“ von den jeweiligen Kopftüchern ausgehen. Insofern müsse die Regelung in Nordrhein-Westfalen verfassungskonform eingeschränkt werden. Ein örtlich und zeitliches begrenztes Kopftuchverbot halten die Verfassungsrichter hingegen für denkbar, wenn in bestimmten Schulen oder Schulbezirken „substanzielle Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten“ herrschen. Das bisherige Kopftuchverbot bedeute einen schweren Eingriff in die Glaubensfreiheit.

Eine weitere Regelung des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes, die christliche Symbole vom Verbot explizit ausnimmt, wurde von den Richtern mit der aktuellen Entscheidung komplett gekippt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrages rechtfertige es nicht, Amtsträger einer bestimmten Religionszugehörigkeit zu bevorzugen. Das Gesetz hatten CDU und FDP eingeführt.

Schulministerin begrüßt Entscheidung

Die Schulministerin des betroffenen Landes Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann (Grüne), begrüßte die Entscheidung. Durch den Beschluss gebe es in der seit Jahren umstrittenen Frage nun Rechtssicherheit. Sie kündigte an, unverzüglich zu prüfen, welche Konsequenzen zu ziehen sind.

Auch aus den Ländern kamen positive Reaktionen, die darauf hindeuten, dass das Kopftuchverbot auch in anderen Ländern auf den Prüfstand kommt. Doris Schröder-Köpf, Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe in Niedersachsen begrüßte den Beschluss. Er ermögliche jungen Muslminnen mehr Freiheit bei der Wahl und der Ausübung ihres Berufes. „Das Urteil spiegelt die Lebenswirklichkeit vieler islamischer Religionslehrerinnen wider. Auf die Inhalte des Unterrichts komme es an und nicht darauf, ob eine Lehrerin ein Kopftuch trage“, so Schröder-Köpf.

Muslime skeptisch

Die islamischen Religionsgemeinschaften bezeichneten den Karlsruher Beschluss als „richtigen Schritt“, zeigten sich aber auch skeptisch hinsichtlich der Einschränkung. Eine Gefahr für den Schulfrieden lasse sich auch immer künstlich konstruieren.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz sprach von einem „starken Signal“ für die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Auch die Evangelische Kirche im Rheinland begrüßte den Richterspruch. „In den evangelischen Kindertagesstätten gibt es schon seit längerer Zeit muslimische Mitarbeiterinnen, die ihr Kopftuch als religiöses oder kulturelles Symbol tragen, ohne dass es bisher zu Konflikten gekommen wäre“, sagte der für Bildungsfragen zuständige Oberkirchenrat Klaus Eberl. In den Schulen sei kein anderes Ergebnis zu erwarten.

SPD und Grüne erfreut

Die SPD-Kirchenbeauftragte Kerstin Griese sagte, die Entscheidung bilde die gesellschaftliche Realität ab. „Das Urteil macht deutlich, dass Religionsfreiheit im 21. Jahrhundert immer auch die Religionsfreiheit der Anderen ist“, sagte sie. Auch bei der Opposition im Bundestag gab es Zustimmung. „Kopftuch, Kippa und Schleier gefährden den Schulfrieden nicht“, sagte der kirchenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Volker Beck. Die Linken-Abgeordnete Chrstine Buchholz wertet edie Entscheidung als positives Zeichen „in Zeiten, in denen Islamhasser wie ‚Pegida‘ die Rechte von Muslimen einschränken wollen“.

Lehrergewerkschaften uneins

Die Bundesregierung wollte die Entscheidung nicht kommentieren. Sie beziehe sich auf das Schulgesetz eines Landes, für den Bund ergäben sich daraus keine unmittelbaren Konsequenzen, erklärte ein Sprecher von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Ähnlich äußerte sich das Bundesinnenministerium, das im vergangenen Jahr in einem Runderlass an alle Behörden seines Geschäftsbereichs verfügt hatte, das Tragen des Kopftuchs aus religiösen Gründen zu gestatten.

Bei Lehrergewerkschaften gab es verschiedene Reaktionen. Während die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft das Urteil begrüßte, äußerte sich der Verband Erziehung und Bildung skeptisch. „Für mich ist das eine Rolle rückwärts“, sagte der Vorsitzende Udo Beckmann. Er fürchtet Belastungen für das Personal an Schulen, weil nun jeder Einzelfall geprüft werden müsse.

Hintergrund: Entscheidung aus 2003

Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an vielen Schulen in Deutschland geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003 zurück. Die Karlsruher Richter hatten es für zulässig erklärt, das Tragen eines Kopftuchs zu untersagen, wenn das Verbot auf einem entsprechenden Landesgesetz fußt. Acht der 16 Bundesländer haben danach in der Regel in den Schulgesetzen entsprechende Verbote festgehalten.

Zu den Ländern, die ein Kopftuch im Schuldienst verbieten, gehören neben Nordrhein-Westfalen das Saarland, Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Bremen, Hessen und Berlin. Debatten über ein Verbot gab es in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Hamburg. Ein Kopftuchverbot wurde aber nicht beschlossen. Drei der Bundesländer, die ein Kopftuchverbot verankert haben, nehmen christliche Symbole in den Regelungen explizit aus.

Die Vorgeschichte

Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lag der Fall einer deutschen Sozialpädagogin muslimischen Glaubens zugrunde, die an einer öffentlichen Gesamtschule in Düsseldorf stets ein Kopftuch getragen hatte. Nach dem sogenannten Kopftuchverbot im NRW-Schulgesetz, das seit 2006 gilt, forderte die Schulbehörde sie auf, das Kopftuch während des Dienstes abzulegen. Daraufhin ersetzte die Sozialpädagogin das Kopftuch durch eine rosafarbene Baskenmütze mit Strickbund und einen gleichfarbigen Rollkragenpullover als Halsabdeckung. Die Schulbehörde erteilte ihr daraufhin eine Abmahnung. Die arbeitsgerichtliche Klage gegen die Abmahnung wurde in allen Instanzen abgelehnt, zuletzt vom Bundesarbeitsgericht. Die Strickmütze sei ebenso wie das Kopftuch als religiöse Bekundung und nicht nur als modisches Accessoire aufzufassen, entschied das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2009.

Die zweite Beschwerdeführerin des nun entschiedenen Verfahrens ist eine Lehrerin, der gekündigt wurde, weil sie ein Kopftuch trug. Die Pädagogin unterrichtete an mehreren Schulen als angestellte Lehrerin in türkischer Sprache. Als sie sich weigerte, das Kopftuch während des Dienstes abzulegen, sprach das Land Nordrhein-Westfalen zunächst eine Abmahnung und später die Kündigung aus. Klagen der Frau vor den Arbeitsgerichten blieben ohne Erfolg.

Nach dem 2006 in Kraft getretenen Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen ist Lehrern und pädagogischen Mitarbeitern untersagt, während der Arbeitszeit religiöse Bekundungen abzugeben, die die Neutralität des Landes oder den religiösen Schulfrieden gefährden könnten. (epd/mig)