Sprechtabus

Der Kampf ums Sagbare

Sind Pegida und NSU Vorboten eines neuen nationalen Erwachen? Jedenfalls wird das Rassismus- und Antisemitismustabu umgangen, indem alternative Begriffe und Umschreibungen gefunden werden. Houssam Hamade über die Strategie der schleichenden Enttabuisierung.

Rassistische Ideen und ihre Freunde gibt es schon lange. Was macht dann die Pegida-Demonstrationen so besonders? Es ist kaum anzunehmen, dass es heute viel mehr Rassisten gibt. Seit Jahren belegen die „Mitte-Studien“, bei denen rechtsextreme Einstellungen in Deutschland gemessen werden, fast durchgehend das Gleiche: Rund ein Viertel aller Deutschen glauben, dass Deutschland durch Ausländer in gefährlichem Maß überfremdet ist. 1

Der Unterschied ist der: In früheren Jahren traute sich nur ein relativ harter Kern, öffentlich seinen Rassismus zu zeigen. Sagbar war offener Rassismus nur in Räumen Abseits vom Mainstream. Heute scheint, nicht nur in Dresden, der Rassismus fast offen in der Mitte angekommen zu sein. Das Wort „fast“ muss dabei betont werden, denn immer noch müssen sie um den heißen Brei herumreden, können sich zum Teil selbst nicht einmal das Offensichtliche eingestehen: Dass sie Rassisten sind. Sie erklären die Welt wesentlich über eine „Rassenbrille“, nur dass sie es nicht „Rasse“, sondern „Kultur“ nennen, dabei aber „Rasse“ meinen, denn „Kultur“ ist in diesem Verständnis etwas Homogenes und Unveränderliches (was beides selbstverständlich völlig falsch ist). Nur in Witzen und in subkulturellen Räumen können sie eine klare Sprache sprechen.

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Wer sich der Mitte zugehörig fühlt, der wird immer noch durch ein starkes Sprechtabu dazu genötigt, um den Brei herumzusprechen und zu denken. So gesehen sind diese Tabus ein wichtiges Hindernis für das nationale Erwachen der gesellschaftlichen Mitte.

Darum ist es eine wichtige und schlaue Strategie der Rechten, Pfade unter und um diese Hindernisse herum zu bauen, indem man zwar nicht von Rasse spricht, aber von Kulturen, indem man sagt und immer wieder betont, man sei ja kein Rassist, um dann dennoch eine lupenrein rassistische Argumentation durchzuführen. So wird dann eine rassistische Logik konstruiert, von der aus das jeweilige Tabu quasi „von Hinten“ langsam aber sicher als inhaltsleer und ideologisch angegriffen wird.

Ein Avantgardist dieser Methode des Untergrabens solcher Tabus ist Thilo Sarazzin. Der spricht zwar nicht von Rassen und Herrenrassen, sondern erzählt nur von dummen Arabern, verschlagenen Albanern, schlauen Asiaten und aufrichtigen Deutschen. Er essentialisiert damit bestimmte Ethnien und geht sogar so weit, von „Juden- und Arabergenen“ zu sprechen, was schon einen frontaler Angriff auf das Rassismustabu bedeutet. Gleichzeitig betont Sarazzin wie selbstverständlich, dass er kein Rassist sei. Selbstverständlich ist das, da er sonst aus dem Raum der bürgerlichen Mitte ausgestoßen werden würde. Zudem nutzt er damit den Vorteil der „Glitschigkeit“, d.h. Angriffe laufen ins Leere, denn wo kein Rassismus draufsteht, da ist auch keiner drin, so die Schutzargumentation dieser Rassisten im Kulturalistenpelz. Im nächsten Atemzug teilt er dann die Zuwanderungsgruppen in Intelligente und weniger Intelligente, Faule und Fleißige ein. Ganz Unten stehen die Dunkelhäutigen, ganz oben die Asiaten, die gerade darum eine besondere Bedrohung darstellen. Er spricht zwar nicht von Menschenzüchtung, dafür aber von sich (das Wort „rattenhaft“ drängt sich unvermeidlich auf) vermehrenden, dummen Kopftuchmädchen und intelligenten Deutschen, die leider zu wenig Kinder bekommen, was wiederum den „Volkstod“ bedeute. Dabei spricht er selbstverständlich das Wort „Volkstod“ nicht aus, denn dies ist mit einem Tabu belegt. Dafür spricht er davon, dass Deutschland sich abschaffe. Es fällt auf, wie krumm seine Zahlen und verdreht seine Theorien sind, die er für seine Argumentation heranführt. Aber das macht nichts, denn ihre eigentliche Funktion der schleichenden Enttabuisierung rassistischer Aussagen erfüllen sie. Er umschreibt, findet neue Begriffe, gräbt Wege unter und um die Tabubegriffe herum und erweitert damit das was sagbar ist. Vielleicht (oder wahrscheinlich) ist Sarazzin ein ganz abgebrühter Fuchs, der fürs Geld dieses Feuer legt, das Menschen tötet. Es ist auch möglich, dass er sich all dessen gar nicht voll bewusst ist. Zumindest lässt sich annehmen, dass vielen aus der „rechten Mitte“ ihr Rassismus so nicht bewusst ist. Es ist schwierig, ohne ein ordentliches Nazivokabular an solchen Denktabus vorbeizudenken. Deshalb arbeiten die konsequenten Rassisten eben an einer Ausweitung des Sagbaren und der Räume, in denen es sagbar ist. Und je mehr sagbar ist, desto mehr ist auch für sie denkbar, das ist das Bedrohliche an dieser Entwicklung.

Das ist das Gute an diesen Sprechtabus; Leuten, die sich weigern ernsthaft zu denken, im Sinne eines inneren Zwiegesprächs, werden mechanisch Hemmungen antrainiert. Auch wird ihnen der Raum genommen, in dem sie ihre Ideen offen verbreiten können. Das Problem ist nur, dass eine Vorstellung falsch ist, wird nicht verstanden, sondern es wird mechanisch eingeübt. Ideen und Denkkonzepte werden dadurch nur verdrängt, sie werden quasi betäubt und für den öffentlichen Raum schlafengelegt. Aber verborgen von dieser Öffentlichkeit arbeiten sie weiter, passen sich an, suchen neue Wege ans Licht. Das lässt sich am Beispiel des Antisemitismus besonders gut zeigen, der in Deutschland besonders stark tabuisiert ist: Man darf nicht gegen Juden sein. Und so zeigen die Mitte Studien auch, dass der offene (primäre) Antisemitismus „nur“ bei ca. elf Prozent liegt, deutlich niedriger als die Ausländerfeindlichkeit. Auf ca. ein Viertel kommt man aber wieder, misst man verschleierte Formen des Antisemitismus dazu: Wenn beispielsweise die einen und die anderen meinen, sie hätten „zwar nichts gegen Juden, aber“ es würde ja schon den Tatsachen entsprechen, dass die Regierung der USA durch „die jüdische Finanzlobby“ gelenkt würde. Die USA lenke wiederum hinter den Kulissen die Geschicke der Welt, wie man von diesen „Erwachten“ erfährt. Auch beliebt ist, wenn aus einer fundierten Kritik an Israels teils rassistischer und chauvinistischer Politik ein von Israel betriebener Holocaust gemacht wird. Die dabei auftretende, schon realsatirisch anmutende, völlige Verweigerung auch nur der einfachsten Regeln sinnvoller Argumentation lässt darauf schließen, dass hier der Wunsch der Vater der Wahrnehmung ist.

Pegida und NSU könnten Vorboten eines neuen nationalen Erwachen sein. Es ist fraglich, welche Strategien im Kampf gegen dieses Erwachen erfolgreich sind. Verstandene Zusammenhänge sind besser als Tabus, weil Menschen nicht mehr zurück können, haben sie erst einmal verstanden, dass es so etwas wie „Nationen“ im Sinne einer homogenen Gruppe nicht gibt. Auch unter Türkischstämmigen gibt es Rechte und Linke, Progressive und Konservative, Aggressive und Passive gibt, Religiöse und Atheisten. Nationale Kategorien erklären die Welt weniger, als dass sie sie erstens nach ihrem Bilde formen, und zweitens ähnlich einer optischen Täuschung zu einer verzerrten Wahrnehmung führen. Aber was ist mit denen, die nicht zweifeln, also nicht denken wollen, und damit unbeeindruckt bleiben, von Argumenten? Denen müssen die Räume des Sagbaren eng gemacht werden. Linke sollten sich dabei weniger vom Totschlagargument „Zensur“ beeindrucken lassen. Meinungsfreiheit heißt, dass Menschen für ihre Meinung nicht vom Staat verfolgt werden können. Leute vorzuwerfen, dumm und schlecht zu sein, weil sie dumme und menschenfeindliche Konzepte wie Intelligenzzüchtung und sich vermehrende Kopftuchmädchen verbreiten, gehört nicht dazu.

  1. Vgl.: Mitte Studie Leipzig (2014): 32