Schwach, aber gefährlich

Warum wir die Bärgida ernst nehmen müssen.

Beim Berliner Ableger der Pegida kamen nicht viele Demonstranten zusammen – zuletzt vergleichsweise niedrige 400. Das verleitet zum aufatmet, Bärgida sei kein Problem. Doch genau das wäre falsch. Von Dmitri Stratievski

Die Bärgida, der Ableger der Pegida in der Hauptstadt, scheint nicht besonders erfolgreich zu sein. Bei den beiden vergangenen „Spaziergängen“ waren nur rund 400 Personen anwesend. Die Zahl der Gegendemonstranten wurde auf das Zehnfache beziffert. Das bringt Optimismus, Freude und Hoffnung.

Zugleich steigt die Wahrscheinlichkeit einer Selbsttäuschung. „Wir Berliner haben keine Dresdner Verhältnisse!“ oder „Die Bärgida ist bei uns bedeutungslos!“, so lautet der Haupttenor mehrerer Berichte und Einzelkommentaren. Tatsächlich haben in den anderen deutschen Großstädten deutlich mehr Menschen den Pegida-Aufruf unterstützt als in Berlin. Nur in Hannover sind weniger selbsternannte „Islamisierungskritiker“ auf die Straße gegangen. Gibt es uns den Anlass, die Bärgida als eine Gruppe von Freaks zu ignorieren? Ist es kein Berliner Problem?

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Ohne mehrfach debattierte Defizite der deutschen Einwanderungs- und Asylpolitik schönzureden, lässt es sich feststellen: In Deutschland hat sich eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft etabliert. Sie wurde entgegen der Behauptung der „Lügenpresse“-Verschwörungstheoretiker (übrigens ein Begriff aus der NS-Zeit) nicht von der Politik suggeriert, sondern wirkt eigengesteuert am Arbeitsplatz, im Supermarkt, in der Schule oder in der Familie. Als ein besonderes Erfolgsmodell ist Berlin hervorzuheben, in dem sich die Menschen aus der ganzen Welt harmonisieren. Unsere friedliche Koexistenz ist kein Gottes Geschenk. Sie ergibt sich aus dem täglichen Einsatz Millionen von Menschen, die diese einzig richtige Formel des modernen Miteinanders unbewusst gutheißen. Die Feinheiten dieser Formel sind nicht in Stein gemeißelt und können diskutiert werden. Unbestritten bleibt eine auf den Prinzipien des europäischen Humanismus basierte Kernidee: Du respektierst deinen Nachbarn und kannst ebenfalls mit Respekt rechnen. Wer diesen Grundsatz in Frage stellt, setzt den Frieden in der Gesellschaft aufs Spiel.

Die „Überfremdungsthese“ hat keinen sicheren Boden in Berlin. Die mehrfach zitierte BIM-Umfrage vom Dezember 2014 zeigt aber deutlich: Vorurteile blühen in vielen Köpfen. 27 Prozent der Befragten teilen die Auffassung, Muslime seien „aggressiver als sie selbst“. 30 Prozent sind davon überzeugt, dass Muslime weniger bildungsorientiert seien. Eine weitere Dezember-Umfrage, diesmal von Forsa, bringt nähere Erkenntnisse: 13 Prozent der Teilnehmer haben sich bereit erklärt, eine islamkritische Kundgebung an ihrem Wohnort zu unterstützen, während 10 Prozent würden ihre Stimme einer Partei schenken, die den Islam in Deutschland bekämpft. Die Befragten wurden in beiden Fällen nach einem repräsentativen Prinzip bundesweit ausgesucht, darunter auch Hauptstadtbewohner.

Wenn jemand ein pauschales Urteil über eine Gruppe von Menschen abgibt, handelt er intolerant und respektlos. Wenn jemand den Rechtspopulismus potentiell unterstützt und mit seiner Stimme eine menschenfeindliche Partei an die Macht katapultiert, dem fehlen das Verantwortungsbewusstsein und der menschliche Verstand. Wer schweigt, macht sich zum Mittäter.