Bayerische Islam-Schulbücher

Burasini nasil buluyorsunuz? – Wıe fınden Sıe es hıer?

Thema Islam im Schulunterricht – ein Aufregerthema. Zu aufregend, um den Islam in Deutschland angemessen darzustellen? Ein Blick in einige Religionslehrwerke bayerischer Schulen…

Ein Stapel bayerischer Schulbücher, sechs katholische und zwei evangelische, liegt auf dem Schreibtisch. 7. Klasse Religionsunterricht – der Islam steht auf dem Lehrplan. Wie stellen die Religionsbücher eigentlich den Islam in Deutschland dar?

Wie so oft resultieren viele problematische Tendenzen aus einer eigentlich positiven Intention. Sprachbrücken bauen – so lautet eine Überschrift aus einem Lehrwerk für die ehemalige Haupt-, nun Mittelschule: Reli 7. Der Lernende wird aufgefordert, im Umgang mit türkischen (muslimischen) Jugendlichen „mit einigen Sätzen in ihrer Sprache zur guten Stimmung und zum gegenseitigen Verstehen“ beizutragen – und darunter steht unter anderem, in fehlerhaftem Türkisch: „Burasini nasil buluyorsunuz? – Wie finden Sie es hier?“ 1

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Die 1. Auflage datiert auf das Jahr 1999, damals fast 40 Jahre nach dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen – reichlich spät für eine erste, zögerliche Kontaktaufnahme in Richtung türkisch-muslimischer Jugendlicher. Ob der Satz bei in Deutschland geborenen Jugendlichen darüber hinaus Freudensprünge auslöst, sei hier dahingestellt.

2003, in dem Lehrwerk ReliRealschule 7, das sich in weitgehender Übereinstimmung auf sein Vorgängerwerk für die Hauptschule stützt, fehlt die nun offensichtlich als problematisch erkannte Passage. An anderer Stelle wurde das Lehrwerk ebenfalls geändert: Zwei Jahre nach dem 11. September findet sich dort anstelle eines Texts über Jerusalem und den Felsendom ein Text über den Dschihad. Das ganzseitige Foto des Felsendoms auf der gegenüberliegenden Seite bleibt erhalten – es befindet sich nun natürlich in einem völlig anderen Kontext. Gemeinsame große Überschrift des Islamkapitels in beiden Lehrwerken: „Muslime und wir.“

Muslime und wir

In ähnlicher Weise widmet sich für das Gymnasium Leben gestalten 7 (1. Auflage 2006) der „Begegnung mit Muslimen in unserer Gesellschaft“. Auf einer insgesamt sehr düster geratenen Foto-Doppelseite, die als Hintergrund das Innere einer Moschee zeigt, werden unter genannter Überschrift noch folgende kleinere Bilder gezeigt: eine vollverschleierte, schwarz gekleidete Frau mit Video-Kamera; afghanische Kinder, die einen deutschen Soldaten auf ISAF-Mission beobachten; einen konzentriert schneidenden Dönerverkäufer; hunderte betende Muslime vor dem Felsendom; eine junge Muslima in braunem Mantel und grauem Rock mit einem Kopftuch in Zartflieder; die Coverseite eines Algebra-Buches von Cornelsen.

Was verstehen die Macher des Buches unter „unserer Gesellschaft“, könnte man fragen, oder welche Klischees über den Islam werden hier reproduziert? Wir wollen jedoch den Lernzielen des zugehörigen Lehrerbandes Beachtung schenken. Laut ihnen soll der Blick für die „Vielfalt islamischer Lebensweisen“ geschärft werden, um „Ansätze eines Bewusstseins einer Differenzierung gängiger Klischees“ zu erarbeiten. Alles im grünen Bereich also?

Leider nicht, denn in der Beschreibung des angestrebten Unterrichtsverlaufs steht beispielsweise folgender Satz: „Im Lehrer-Schüler-Gespräch können Erfahrungen mit muslimischen Mitschülern, die Gastarbeiter (Döner), andersartige Erscheinungsformen in der Kleidung (Tschador) und Gebetshäuser bzw. Moscheen angesprochen werden.“ Ist das der Erfahrungshorizont, auf das sich unser Religionsgespräch stützt: „Gastarbeiter (Döner)?“

Die Liste ließe sich ohne weiteres fortsetzen: Unter einer Doppelseite zur Diskriminierung der Frau im Islam steht folgender Arbeitsauftrag: „Bettina hat sich in einen Muslim verliebt. Diskutiert verschiedene Szenarien.“ Ein Zitat aus demselben Buch: „Der Islam fasziniert und erschreckt.“ Religion vernetzt 7 präsentiert unter der Überschrift „große Leistungen von Muslimen“ Kulturleistungen aus islamischen Ländern, die letzte datiert auf das 18. Jh. Der erwähnte, konzentriert schneidende Dönerverkäufer indes scheint die Schulbuchmacher so nachhaltig beeindruckt zu haben, dass sich sein Foto in mindestens drei Lehrwerken der Auer-Schulbuchreihe wiederfindet. Man muss es leider so formulieren: In manchen Schulbuchkapiteln zum Islam ist es müßig, die einzelnen Fehler zu zählen, sie sind ein einziger Fehler.

Die Kapitel folgen dabei einem stets ähnlichen Aufbau: Um die Schüler dort abzuholen, wo sie sind, erscheint als geeigneter Einstieg ein Überblick über die gängigsten Klischees, die sogenannten „verschiedenen Gesichter des Islams“. Der daraus resultierenden Frage: Islam – fremd oder nah? folgt die Erkenntnis, dass der Islam längst in unserer Gesellschaft beheimatet ist. Doch anstatt dies weiter zu vertiefen, machen sich die Schulbuchmacher nun auf in eine von Orientalismen geprägte Reise in die fernen Ursprungsländer des Islams. Ein paar Fakten zum Auswendiglernen werden unterwegs eingestreut (die Biographie Mohameds, die fünf Säulen des Islams). Nachdem man sich auf diese Weise immer weiter von Deutschland und unserer Zeit entfernt, die Länder des Nahen Ostens in Pauschalreisemanier gleichmacherisch durchschritten hat, folgt ein abrupter Zeitsprung in die Gegenwart. Nun sind Terrorismus und Kopftuch Thema. Diesen „befremdlichen“ Seiten der Religion steht der Wunsch oder das Bemühen um ein friedliches Miteinander der Religionen anbei. Oft folgt hier der Verweis auf das Zweite Vatikanische Konzil, in dem sich die katholische Kirche erstmals den nichtchristlichen Religionen gegenüber öffnete. Mit einem Friedensgebet oder einem Meditationsgedanken über die Vielheit der Religionen endet das Kapitel.

Verpasste Chance

Interreligiöses Lernen im konfessionellen Religionsunterricht findet – leicht nachvollziehbar – unter schwierigen Ausgangsbedingungen statt. Wie lassen sich die komplizierten Inhalte, die oft ein hohes Maß an Hintergrundwissen erfordern, seitens der Lehrenden korrekt darstellen, in kurzer Zeit, ohne in Klischees zu verfallen und möglichst unter Vermeidung der vielen politischen Fallstricke zu diesem Thema? Erschwerend kommt hinzu, dass die andere Religion unter dem Blickwinkel der eigenen Konfession beleuchtet werden soll, was umso schwieriger ist, da immer weniger Lernende über ihre eigene christliche Konfession selbst fundierte Kenntnisse haben.

Die Aufgabe ist also kompliziert genug, dennoch werden die Schwierigkeiten noch vergrößert, indem der Islam fast ausschließlich anhand der arabischen, türkischen, persischen Herkunftsländer präsentiert wird. Weil jedoch mit diesem Ansatz immer auch ein Einblick in die verschiedenen Kulturen der Länder gegeben werden muss, vergrößert sich die Stofffülle noch einmal immens und ist unter dem Zeitdruck des Lehrplans schließlich kaum mehr angemessen zu behandeln. Wieviel näher jedoch könnte man an die Lebenswelt der Jugendlichen heranrücken, indem man die Religion so darstellt, wie sie ihnen in ihrer Lebenswelt tatsächlich begegnet: als verschiedene Formen des Islams in Deutschland.

Die religiöse Welt der muslimischen Migranten in Deutschland – vom Kopftuch mal abgesehen – wird jedoch kaum behandelt, von den deutschen Konvertiten ganz zu schweigen. Leider gibt es auch in den zugehörigen Lehrerhandbüchern kaum Hinweise, wie sich die Klischees über den Islam in Deutschland, die die Schulbuchkapitel einleiten, kompetent auflösen lassen.

Ausblick

Dass es auch anders geht, beweist ein evangelisches Lehrbuch aus dem Jahr 2009: Ortswechsel 7. Fachlich kompetent und gut aufgemacht, präsentieren ausschließlich deutsche Muslime den Islam in Deutschland (die deutschen Konvertiten fehlen leider immer noch). Muhabbet gibt ein Interview, das Kapitel schließen fünf Graffitis des Labels Styleislam, und in der Mitte findet sich endlich, endlich der Satz: „Den Islam gibt es nicht.“ Einzig ein bisschen mehr Mut hätte man den Machern gewünscht: Manche Seite kommt etwas brav daher. Das ist jedoch Detailkritik – wohltuend hebt sich das Lehrwerk von den anderen hier vorgestellten Religionsbüchern ab.

Es sollen hier keine Klischees über katholisch-konservative Bayern reproduziert werden, die andere Religionen fehlerhaft darstellen. Denn erstens verfällt ein anderes evangelisches Religionsbuch aus Bayern, Mosaiksteine 7, denselben bereits aufgezeigten problematischen Tendenzen. Zweitens arbeitet eine Schulbuchstudie aus dem Jahr 2011 heraus, dass es sich bei diesen Tendenzen um ein europäisches Phänomen handelt. „Schulbücher europäischer Länder halten Islam und modernes Europa getrennt“ lautet ihr Titel. Das Problem ist also weder geographisch auf Bayern, noch fachlich auf den Religionsunterricht beschränkt. Stets finden sich dieselben Mechanismen: Vor Ort ansässige Religionen und ihre Mitglieder werden fremder gemacht, als sie es eigentlich sind. Dies geschieht unter anderem durch eine historisierende Darstellung der Religion, eine Konzentration auf nichteuropäische Herkunftsländer oder die Überbetonung der problematischen Tendenzen im Zusammenleben.

Zum Abschluss soll hier noch das Foto eines Gebetsteppichs gezeigt werden, genauso wie es sich in Leben gestalten 7 findet – diejenigen, die die arabische Schrift lesen können, werden den Fehler gleich bemerken: Es steht auf dem Kopf

In der Fachliteratur nennt sich dieses Phänomen Othering – Fremdmachen. Auch in unseren bayrischen Lehrwerken finden wir in der schon erwähnten Hauptüberschrift ein besonders bezeichnendes Beispiel für diese Tendenz: „Muslime und wir“.

„Wer ist dieses Wir?“, ist die Frage, die weit über das interreligiöse Lernen im bayrischen Religionsunterricht hinausweist. Dieses Wir, bezieht man es einmal auf die ganze Gesellschaft, schließt heute eine Vielzahl religiöser, kultureller, migrantischer Strömungen ein. Schulischer Religionsunterricht ist eine der wenigen Gelegenheiten in der Schullaufbahn, bei denen diese Vielheit – ausgehend von religiöser Vielfalt – offen thematisiert wird. Man kann also durchaus von einer verpassten Chance sprechen. Multireligiosität, Multikulturalität und migrantische Kultur in Deutschland selbst erhalten zu wenig angemessene Beachtung.

Natürlich kann man vom konfessionellen Religionsunterricht nicht erwarten, dass er diese Probleme in Stellvertretung löst. Der Religionsunterricht sieht sich heute überfrachtet mit der Forderung, dass er neben dem multireligiösen, auch noch das multikulturelle und migrantische Deutschland erklären soll. Er steht damit symbolisch für den oft stiefmütterlichen Umgang mit migrantischer Kultur in Deutschland. Gleichzeitig wird hier besonders deutlich, dass ein Unterrichtsfach fehlt, das unsere multikulturelle, von Migration geprägte Gesellschaft schwerpunktmäßig begleitet.

Entsprechende Unterrichtskonzepte wird es hoffentlich immer mehr geben. Bis es so weit ist, steht der schulische Religionsunterricht stellvertretend als eines der wenigen Unterrichtsfächer, in dem diese Themen vertieft behandelt werden können.

Literatur

Bald, Hans/ Kappe, Bärbel/ Potoradi, Martin (Hg.): Mosaiksteine 7. Evangelisches Religionsbuch für Realschulen. München: Claudius 2006.

Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung (Hg.): Keine Chance auf Zugehörigkeit? Schulbücher europäischer Länder halten Islam und modernes Europa getrennt. Ergebnisse einer Studie des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung zu aktuellen Darstellungen von Islam und Muslimen in Schulbüchern europäischer Länder. Braunschweig 2011.

Grill-Ahollinger, Ingrid/Görnitz-Rückert, Sebastian/Samhammer, Peter/Rückert, Andrea (Hg.): Ortswechsel 7. Grenz-Gänge – Ausgabe Bayern. München Claudius 2009.

Gruber, Bernhard (Hg.): Leben gestalten. Unterrichtswerk für den katholischen Religionsunterricht am Gymnasium. 7. Jahrgangsstufe. Auer: Donauwörth 2007.

Gruber, Bernhard (Hg.): Leben gestalten. Unterrichtswerk für den katholischen Religionsunterricht in der 7. Jahrgangsstufe am Gymnasium. Lehrerband. Unterrichtssequenzen mit Stundenbildern und Kopiervorlagen. Auer: Donauwörth 2007.

Hilger, Georg/ Reil, Elisabeth (Hg.): Reli 7. Unterrichtswerk für katholische Religionslehre an Hauptschulen in den Klassen 5 – 10. Kösel: München 1999.

Hilger, Georg/ Reil, Elisabeth (Hg.): Reli Realschule 7. Unterrichtswerk für katholische Religionslehre an Realschulen in den Klassen 5 – 10. Kösel: München 2003.

Mendl, Hans/ Schiefer Ferrari, Markus (Hg.): Religion vernetzt 7. Unterrichtswerk für katholische Religionslehre an Gymnasien. Kösel: München 2005.

Rieß, Wolfgang/ Schlereth, Reinhard (Hg.): Einfach Leben. Unterrichtswerk für den katholischen Religionsunterricht in der 7. Jahrgangsstufe der Realschule. Auer: Donauwörth 2004.

Schlereth, Reinhard (Hg.): Einfach Leben. Unterrichtswerk für den katholischen Religionsunterricht in der 7. Jahrgangsstufe der Hauptschule. Auer: Donauwörth 2000.

  1. Überall dort, wo der Buchstabe i steht müsste eigentlich der Buchstabe ı stehen. Dass den Autoren der Buchstabe jedoch bekannt ist, zeigt das Zitat „Allaha ısmarladık“ acht Zeilen darüber, hier korrekt mit dem Buchstaben ı, was einen deutlichen Unterschied in der Aussprache ausmacht. Ein kleiner Fehler nur, aber ein deutlicher Beleg dafür, dass es den Autoren nicht besonders ernst war mit ihrem Crashkurs Türkisch.