Rassismus und Justiz

Wie hätte der Richter wohl entschieden, wenn das Opfer ein Weißer gewesen wäre?

In Deutschland besitzen Gerichte eine Hoheitsmacht, die nahezu unantastbar ist. Urteile werden weder diskutiert noch hinterfragt. In den USA ist das ganz anders; dort gibt es sogar Untersuchungen über tendenziöse Urteile. Höchste Zeit für Deutschland, nachzuholen, wie Sanchita Basu anhand von Beispielen darlegt.

Kann man in puncto Antirassismus fortgebildet werden? Ist es notwendig für hochgebildete Menschen wie Richter und Staatsanwälte, sich mit eigenen Rassismen auseinanderzusetzen? Haben sie nicht durch ihre intellektuelle Auseinandersetzung mit der Gesellschaft per se eine Verinnerlichung gegen Rassismus und gegen jegliche Diskriminierung?

Das wäre vielleicht möglich gewesen, wenn antirassistische Pädagogik in schulische Curricula hierzulande aufgenommen worden wäre und wenn im Kindergarten die Erzieher den Kindern ihrer Obhut Demokratie zu lernen ermöglichen würden. Aber wir haben ja gelernt, dass man nie ausgelernt hat. Dies bedeutet, dass auch dieses Versäumnis nachgeholt werden kann. Zumindest kann mensch strukturellen und institutionellen Rassismus in Deutschland thematisieren und andiskutieren. Wir können eine Debatte über Rassismus in deutschen Behörden, wie zum Beispiel beim Jobcenter, der Polizei oder gar in der Justiz anregen. Und wir können über Strategien gegen institutionellen Rassismus sprechen.

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Die Auswirkung von gelernten rassistischen Einstellungen, Stereotypisierung und Vorurteilen, die in der Gesellschaft existieren, fließen durch alle Lebenswege und Institutionen durch. Die Exekutive, die Administrative und die Judikative bilden da leider keine Ausnahme.

Jedoch ist das Vertrauen an die Gerechtigkeit in Bezug auf das Justizsystem bei Bürgern in Deutschland unerschütterlich. Auch wenn es bekannt sein müsste, dass die Juristen, Staatsanwälte sowie Richter in Bezug auf Rassismus durch ihr Referenzsystem beeinflussbar sind. Sie handeln nicht selten selbst diskriminierend.

Ich werde zunächst einige Beispiele von Gerichtsurteilen vorstellen, in denen sich meines Erachtens deutliche lineare Tendenzen von rassistischen Einstellungen zeigen. In Deutschland besitzen die Gerichte eine Hoheitsmacht, die nahezu unantastbar ist. In anderen Ländern, z.B. in den USA, werden die Gerichtsurteile öffentlich aber auch wissenschaftlich diskutiert. Es gibt auch empirische Untersuchungen über tendenziöse Urteile. In den Universitäten wird über umstrittene Urteile debattiert, und die Gerichte und ihre Richter sind für die Medien nicht heilig. Die Fragen, die ich hier zur Disputation stelle, sind:

In dem Jahresbericht von Amnesty International über Österreich steht: „Die Zweigleisigkeit des österreichischen Justiz- und Polizeisystems widerspricht absolut dem Konzept einer gerechten Justiz“. Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, sagte bei der Präsentation des Berichts im vergangenen Jahr, dass „Vorurteile und Stereotypen bezüglich Ausländern oder religiösen und ethnischen Gruppen hier (bei der Justiz, anm. Autorin) keinen Platz haben“. Die Ursache für die bestehenden Missstände sieht Amnesty International im institutionellen Rassismus. Können wir an dieser Stelle Österreich mit der Bundesrepublik Deutschland austauschen oder mit einem beliebigen anderen europäischen Land?

Info: Von Mai bis November 2013 wurde vom Migrationsrat Berlin-Brandenburg (MRBB) die Veranstaltungsreihe „Rassismus und Justiz“ durchgeführt. Sie diente der Vernetzung von Juristen, Migrantenselbstorganisationen sowie anderen anti-rassistischen Akteuren und zielte auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus im deutschen Justizwesen. Im Rahmen dieser Reihe entstand die gleichnamige Broschüre, die am 27.10.2014 um 19:00 Uhr im Ballhaus Naunynstraße Berlin mit einer Release-Veranstaltung offiziell veröffentlicht werden soll. Die Broschüre kann demnächst auf der Homepage des MRBB kostenlos heruntergeladen werden. Rassismus und Justiz, Migrationsrat Berlin-Brandenburg e.V.

In Deutschland wird von Alltagsrassismus in einer Weise diskutiert, welche versucht, uns zu instruieren, dass Rassismus in der hiesigen Gesellschaft zwar im Alltag vorhanden ist, aber verantwortlich dafür seien die einzelnen „lonely wolves“. Doch institutioneller Rassismus bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten als den zentralen Säulen der Rechtsstaatlichkeit sind nach wie vor Tabu. Diese Säulen seien frei von jeglichen rassistischen und sexistischen Einstellungen, weil es durch die deutsche Verfassung verboten sei. Das Argument, dass nicht existiere, was nicht sein darf, ist ein sehr verbreitetes und akzeptiertes Gebot. Diese Grundhaltung erschwert eine angemessene Debattenkultur über strukturellen und institutionellen Rassismus.

Wir können hier eine Fülle von Beispielen des institutionellen Rassismus darlegen, jedoch beschränke ich mich hier mit der Judikative. Das jüngste Urteil z. B bei Racial Profiling ist sehr bezeichnend dafür. Im Februar 2012 wurde das erste Urteil über Racial Profiling gefällt. In diesem Fall stufte der Richter die polizeiliche Personenkontrolle wegen der Hautfarbe als legal ein. Dieses Urteil wurde von OVG Rheinland-Pfalz aufgehoben und als wirkungslos erklärt. Jedoch ist die rassistische Personalkontrolle durch das Bundespolizeigesetz gedeckt. Die versprochenen Beispiele:

Der weiße Hausmeister

2009 wurde ein ehemaliger Hausmeister einer Unterkunft für Flüchtlinge in Nürnberg beschuldigt eine Frau aus Uganda brutal vergewaltigt zu haben. Zwischen 2001 und 2002 soll er mit dem Generalschlüssel in das Zimmer der Frau eingedrungen sein, während sie schlief, und sie vergewaltigt haben. Der Beschuldigte, der mittlerweile in Rente ist, streitet dies ab und glaubt an einen Racheakt, da er bei ihrer Abschiebung mitgewirkt hat. Die Staatsanwältin bewertete die Aussage der betroffenen Frau als glaubwürdig. Sie sah auch keinerlei Motivation seitens des Opfers, sich eine derartige Geschichte auszudenken. Weder aus Rache noch um im Asylverfahren Vorteile daraus zu ziehen.

Obwohl drei glaubhafte Zeugen die Darstellung der betroffenen Frau mit ihren Aussagen stützten, sprach das Nürnberger Gericht am Donnerstag, den 15.01.2009 den Täter frei, weil die Frau doch ihr Asylverfahren durch diesen Prozess beeinflussen wollte.

Der weiße Rentner

Am 13. Juni 2003 wurde Maxim, am Tag seines 33. Geburtstages, von einem 76-jährigen Rentner auf offener Straße mit einem Springmesser in Köpenick erstochen. Der Täter hatte Maxims Freundin und Mutter seines Kindes zuvor in einem Supermarkt zu Unrecht des Ladendiebstahls bezichtigt. Daraufhin versuchte Maxim, den Rentner auf der Straße zur Rede zu stellen. Der Freispruch des 76-Jährigen wurde damit begründet, dieser sei mit der Situation überfordert gewesen. Dass er mit einem Springmesser in der Tasche zum Einkaufen geht, wurde damit erklärt, dass er den Zweiten Weltkrieg und die DDR überlebt hatte.

„Man liest und hört so viel im Fernsehen“, sagte der 76-Jährige zu seiner Entlastung vor Gericht. Nach der Tat wählt er 110 und ruft aufgeregt ins Telefon: „Hallo, ist dort die Volkspolizei?“ Als frühere DDR Bürger seien sie nicht mit dem „lockeren Dasein“ nach der Wende zurechtgekommen, sagt seine Ehefrau als Zeugin. Ihr Leben sei immer „ordnungsgemäß“ verlaufen.

Der weiße Ehemann

Eine Frau aus dem Senegal wurde von der Aschaffenburger Polizei erschossen. Hintergrund ist nach Aussagen der Polizeidirektion Aschaffenburg ein Streit zwischen einem in Trennung lebenden Ehepaar in der Aschaffenburger Schlossgasse. Der Ehemann, ein weißer Deutscher, hatte in der Nacht gegen 2.30 Uhr die Polizei gerufen, um seine Frau aus der Wohnung werfen zu lassen.

Die Frau war in die Wohnung ihres Ehemannes gekommen, weil sie den zweijährigen Sohn abholen wollte, der einige Tage bei seinem Vater verbracht hatte. Der Sohn war aber bei den Eltern des Ehemannes. Als die Polizei auftauchte und sofort Partei für den Ehemann ergriff, kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen den zwei Polizeibeamten und der 26-jährigen Frau. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung zog einer der Polizisten seine Dienstwaffe und erschoss die Frau, die nach notärztlicher Versorgung vor Ort wenig später im Klinikum Aschaffenburg verstarb. Nach ersten Recherchen haben wir von der Polizei erfahren, dass die Ermittlungen von der Kripo in Würzburg („Kommissariat für Tötungsdelikte und Leichensachen“) geleitet werden. Die Unterlagen und sämtliche Ermittlungsprotokolle sind derzeit „nicht pressefrei!“.

Weiterhin wurde uns mitgeteilt, dass die Polizei von „Notwehr“ ausgeht und der Polizeibeamte, der die 26-jährige Frau ermordet hat, nicht vom Dienst suspendiert wurde, sondern weiterhin seinen Dienst bei der Polizei in Aschaffenburg leisten kann.

In allen drei Fällen gibt es eine Gemeinsamkeit. Es wurde nach dem System der „weißen Glaubwürdigkeit“ gehandelt.

In den beiden ersten Fällen sind die Rentner glaubwürdige deutsche Staatsbürger und die Geschädigte in einem Fall eine Geflüchtete und in dem anderen ein deutscher Staatsbürger mit einem ausländisch klingenden Namen!

Solche Urteile werden damit legitimiert, dass es eine „Gefahrenlage“ gäbe. Das Dasein von Maxim z.B. stellt für den Rentner eine Gefahr dar.

Solche Urteile sind ein Hohn für Menschenrechte und eine Katastrophe am deutschen Rechtssystem, die grundlegende Veränderungen zwingend notwendig macht.