Interview mit Stefan Buchen

DDR-Schleuser waren Fluchthelfer, Syrien-Schleuser sind Verbrecher

Wenn Syrer ihre Familien aus dem Krieg retten wollen, sind illegale Wege meist unausweichlich. Diese Menschen werden in Deutschland bisweilen wie Schleuser behandelt und kriminalisiert. Autor Stefan Buchen hat diese Fälle recherchiert. Drei Fragen an ihn über sein Buch und das Versagen des Rechtsstaates.

Der ARD-Journalist Stefan Buchen hat anhand eines konkreten Falles recherchiert, wie es in Deutschland lebenden Syrern ergeht, die versuchen, ihre Familien illegal nach Deutschland zu holen. Die Ergebnisse seiner Recherche: Sie werden von Politik, Justiz und Medien als gefährliche und skrupellose Schleuser bezeichnet und als Kriminelle eingestuft – mit der Folge, dass sie häufig für mehrere Jahre hinter Gittern landen. Buchen im Gespräch über seine Recherche und sein neues Buch „Die neuen Staatsfeinde“.

„Wer im Kalten Krieg Flüchtlinge aus der DDR über den Eisernen Vorhang schleuste, galt als Fluchthelfer. Wer im syrischen Krieg Flüchtlinge nach Deutschland schleust, ist ein Verbrecher“, schreiben Sie. Wie ist dieser Sinneswandel Deutschlands zu erklären?

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Stefan Buchen: Die Bundesregierung sieht Migrationspolitik als Teil der Sicherheitspolitik. Sie möchte, dass möglichst wenig Migranten nach Deutschland kommen. An diesem Grundsatz richtet sich die praktische Politik aus. Zunächst bedeutet das die Stärkung des Grenzschutzes und all die Dinge, die man gemeinhin mit dem Begriff „Abschottung“ zusammenfasst. Die Bundesregierung stört sich nicht an dem Widerspruch zwischen der Verteufelung illegal Eingewanderter und der Glorifizierung von „Fluchthelfern“, die Menschen in den 60er und 70er Jahren gegen Geld heimlich über den „Eisernen Vorhang“ geholfen haben. Unsere Politiker setzen auf das Vergessen und das Desinteresse der Öffentlichkeit.

Was hat Sie bei den Recherchen zu Ihrem Buch besonders erschreckt?

Buchen: Bundespolizei und Staatsanwaltschaft haben dem Ziel, „Schleuser“ zu fassen, alles andere untergeordnet. Es war für sie nicht von Belang, dass es hier um Flucht aus einem Kriegsgebiet geht und dass es für die Flüchtlinge ein klares Motiv gibt, ausgerechnet nach Deutschland zu wollen. Sie haben hier Verwandte. Die Strafverfolger haben das sehr wohl gewusst. Dass es für den Umgang mit dem Fall keine Rolle spielte, ist das Erschreckende. Die Strafverfolger sahen strafrechtliche Normen verletzt und wollten sich die Chance, „eine Bande“ hinter Gitter zu bringen, nicht entgehen lassen. Der politische Kontext und die Frage, welche Bedeutung Menschenrechten zukommt, wurden ausgeblendet.

Sie sind selbst Journalist – welche Rolle spielen die Medien bei der Kriminalisierung von Fluchthelfern?

Buchen: Die Medien spielen eine sehr unglückliche Rolle. Sie betätigen sich als Claqueure der Strafverfolger. Sie geben sich leichtfertig dafür her, Anschuldigungen ungeprüft widerzugeben und sogar aufzubauschen. Im dem Fall, mit dem ich mich befasst habe, hat es dazu geführt, dass Helfer syrischer Kriegsflüchtlinge in der medialen Darstellung als profitgierige, brutale Verbrecher rüberkamen, denen Menschenleben nichts wert sind. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man ein anderes Bild. (epd/mig)