Immigrierte Chefs

Gibt es eine deutsche Mentalität?

Was macht die Deutschen wirtschaftlich so relativ stark und erfolgreich? Sind es die Qualität der Ausbildung und der Universitäten, die technische Tradition, das relativ unproblematische Klima, die geografische Lage mitten in Europa?

Wenn ich ausländische Gesprächspartner frage, antworten die Meisten: es ist vor allem die deutsche Mentalität! Dann kommen die üblichen Schlagworte wie Sorgfalt, Prozesstreue, konsequente Planung, Arbeit als Lebensinhalt, Hang zum Perfektionismus usw..

Natürlich sind das Stereotypen und – da verallgemeinernd- auch Vorurteile, in denen sich der Einzelne nicht wiederfindet. Aber andererseits stimmt es natürlich, dass die vorherrschenden Einstellungen und Wertmaßstäbe, die Mentalität also, mit der Art des Wirtschaftens im jeweiligen kulturellen Umfeld eng verbunden sind.

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Leider sind nicht alle Komponenten der deutschen Mentalität uneingeschränkt sympathisch und die Geschmäcker diesbezüglich auch noch individuell verschieden. Das gibt aber Migranten und allen, die nicht seit Generationen deutsch sind, die Möglichkeit, sich die ihnen sympathischen Anteile für die eigene Persönlichkeit herauszupicken. Genau das tun nach meinem Eindruck viele der jungen Chinesen in Deutschland. Sie sind – mit oder ohne deutschen Paß – meist nur für einen begrenzten Zeitraum von 10 oder 15 Jahren hier, was sie von vielen anderen Migranten unterscheidet. Trotzdem bin ich immer wieder beeindruckt, wie es vielen von ihnen gelingt, neue Einstellungen bewusst aufzunehmen und sich dabei selbst treu zu bleiben.

Viele Chinesen haben Freude am Lernen
Vielleicht sind sich die chinesische und die deutsche Mentalität sich in vielem näher als die meisten Deutschen das wahrhaben wollen. Wichtig sind in beiden Kulturen Arbeit, Familie und materieller Erfolg. Die Menschen haben oft ein starkes Pflichtgefühl und überbordende südliche Lebensfreude gilt eher nicht als Tugend. In einem Punkt aber unterscheiden sie sich aber deutlich: Die chinesische Tradition des ständigen Lernens ist vielen Deutschen zwar recht sympathisch, aber bei uns hat man inzwischen häufig das Gefühl, dass das Lernen als Last und nicht als Vergnügen gilt und irgendwie uncool geworden ist. Als sei es besonders vergnüglich, seine Zeit ohne geistige Anstrengung zu verbringen.

Es gibt auch sehr spezifisch deutsche Traditionen, die den Chinesen eher fern liegen. Z. B. geht in Deutschland fast jedes Kind eine Zeit lang in einen Sportverein und ein beachtlicher Teil betreibt irgendwann im Leben sogar Leistungssport. Hier gibt es in China und in den meisten anderen Zuwanderungsländern ganz andere Traditionen. In China wird viel Sport getrieben, aber fast alles ist durch die Schule und Jugendorganisationen organisiert. Und Tischtennis oder Badminton sind definitiv populärer als Bergsteigen. Umso schöner, wenn chinesische Ingenieure in Deutschland Mitglied im Alpenverein werden und jedes Wochenende mit anderen in den Bergen klettern gehen!

Ähnliches gilt auch für andere Immigrantengruppen. In der Türkei etwa war in alten Zeiten der Sport eher militärisch geprägt – Reiten, Ringen, Speerwerfen, um die Soldaten stark zu machen. Seit dem Untergang des Osmanischen Reiches hat sich dann nach und nach ein vergleichsweise passives Freizeitverhalten durchgesetzt und heute ist selbst der Fußball – obwohl hochpopulär – eher Zuschauersport. In Deutschland aber tragen die jungen Deutschen mit türkischen Eltern beträchtlich dazu bei, dass die deutschen Fußballvereine weniger Nachwuchssorgen haben. Der aktive Sport ist also offenbar für viele ein attraktiver Teil der hiesigen Lebensform und Mentalität.

Ist es uncool, sich anzustrengen?
Außerhalb des Sports aber scheint es in Deutschland für viele junge Leute – unabhängig von ihrer Herkunft- nicht attraktiv zu sein, sich zu verausgaben und sich anzustrengen. Es mag der Ehrgeiz, den manche bürgerliche Eltern in Deutschland für ihre Kinder entwickeln, mintunter etwas albern wirken. Aber er ist wahrscheinlich für uns alle recht gesund in einer globalisierten Welt mit ständig steigenden Anforderungen an die nachwachsenden Generationen. Die gegenteilige Haltung ist viel problematischer als elterlicher Ehrgeiz. Wenn nämlich ganze Milieus und damit ein beachtlicher Teil der jungen Menschen rein gar nichts von Ausbildung oder gar Bildung hält. Das ist kein Migrationsthema, weil das Problem quer durch alle Schichten geht. Aber für Jugendliche mit Migrationshintergrund ist es ohne Freude am Lernen fast unmöglich, später beruflichen Erfolg zu haben. Ihre privilegierteren Altersgenossen können das eher kompensieren.

Wie wir diese Freude – wieder – zum Teil der deutschen Mentalität machen können, weiß ich auch nicht. Klar ist aber, dass wir es uns einfach nicht leisten können, dass die Hälfte des ohnehin zu wenigen Nachwuchses nichts vom Lernen hält.

Mentalität ist der entscheidende Erfolgsfaktor
Im Sport gewinnt meist nicht das absolut bessere Team, sondern dasjenige, das den stärkeren Willen zum Sieg hat. Das Ziel jeder demokratischen Gesellschaft ist Chancengleichheit. Dieses Ziel ist nicht erreichbar und es hat sie noch nie irgendwo auf der Welt gegeben. Neben Talent und Begabung ist aber die Mentalität der wichtigste Faktor, um wenigstens in die Nähe von Chancengleichheit zu kommen – wichtiger als Wohlstand! Das scheinen viele zu übersehen. Für die Kinder mit Migrationshintergrund ist das besonders fatal, weil sie ohnehin schon einen weiteren Weg zum Erfolg haben.